Papier und Digital effizient verbinden (4): aktuelle Studienergebnisse als Nachtrag

Papier mit Digital verknüpfen

In den letzten beiden Beiträgen dieser Serie wurden Studien vorgestellt, die sich mit den Effekten und Auswirkungen verschiedener Schreibtechniken beschäftigen. Dabei wurden das Schreiben von Hand auf Papier, das Tippen auf einer Tastatur und das Schreiben mit einem Stylus auf Displays verglichen. Die meisten Studien kamen zu dem Schluss, dass das Schreiben von Hand mit einem Stift auf Papier für das Lernen am vorteilhaftesten ist. Zu beiden Beiträgen erhielt ich eine Reihe von Kommentaren auf Mastodon. Einige der erwähnten Studien wurden kritisiert, insbesondere „The Pen is Mightier Than the Keyboard“ (2014) von Pam A. Mueller und Daniel M. Oppenheimer. In diesem Nachtrag werde ich zunächst kurz auf die Kritik eingehen und abschliessend zwei weitere Studien zusammenfassen.

Is the Pen Really Mightier Than the Keyboard?

David Lohner (@davidlohner@bildung.social) machte mich auf einen seiner Aufsätze [1] aufmerksam, in dem er die Studie von Mueller & Oppenheimer kritisiert:

„Leider stecken in dieser Studie zahlreiche (methodische) Unklarheiten, die ihre plakative Aussage zunichte machen. Beispielsweise wurde den Probanden in dieser Experimentalstudie eine Methode zur Mitschrift vorgegeben – ungeachtet eigener Präferenzen oder Kompetenzen im Umgang mit den jeweiligen Medien. In einer Replik auf diese Studie haben Urry et al. (2021) aufgezeigt, dass sich der Effekt nicht bestätigen lässt. Auch Aufenanger und Bastian (2020) haben die Unschärfen von Mueller und Oppenheimer aufgegriffen und kommen zu dem Schluss, dass keine der beiden Methoden einen signifikanten Vorteil gegenüber der anderen bietet. Bis die Wissenschaft weitere Erkenntnisse liefert, bleibt die Entscheidung also Ihnen überlassen.“

Ich lasse die Kritik hier unverändert stehen, da mir die entsprechende fachliche Kompetenz fehlt, um sie beurteilen zu können. Jedoch kann ich den Argumenten durchaus folgen und ihnen zustimmen. Möglicherweise können die folgenden, aktuelleren Studien mehr Aufschluss über die Unterschiede zwischen handschriftlichen Notizen und Notizen am Computer mit Tastatur geben.

Handwriting but not typewriting leads to widespread brain connectivity (2024)

Die Studie „Handwriting but not typewriting leads to widespread brain connectivity: a high-density EEG study with implications for the classroom“ von F. R. Van der Weel und Audrey L. H. Van der Meer, veröffentlicht im Journal „Frontiers in Psychology“, Volume 14 – 2023, [2] untersucht die Auswirkungen verschiedener Schreibmethoden auf das Gehirn. Die Autoren analysierten mittels hochdichter EEG-Messungen, wie sich das Schreiben von Hand auf Papier, das Schreiben mit einem Stift auf einem Tablet und das Tippen auf einer virtuellen Tastatur auf die Gehirnaktivität und -vernetzung auswirken.

Das Vorgehen der Studie bestand darin, den Teilnehmern verschiedene Textaufgaben zu stellen, während ihre Gehirnaktivitäten aufgezeichnet wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass handschriftliches Schreiben im Vergleich zum Tippen eine wesentlich breitere Vernetzung im Gehirn aktiviert. Diese weitreichende Vernetzung, die beim Schreiben von Hand beobachtet wurde, unterstützt kognitive Funktionen wie das Gedächtnis, das Lernen und das sensorische Verarbeiten. Im Gegensatz dazu führt das Tippen auf virtuellen Tastaturen zu einer viel spezifischeren und begrenzten Aktivierung. Dies deutet darauf hin, dass die sensorisch-motorische Erfahrung des Handschreibens eine reichhaltigere kognitive Verarbeitung anregt.

Zwei Teilnehmerinnen der Studie

Diese Erkenntnisse betonen die Bedeutung des handschriftlichen Schreibens in Lernkontexten, insbesondere für die Entwicklung und Förderung kognitiver Fähigkeiten bei Schülerinnen und Schülern. Die Autoren empfehlen, dass trotz des zunehmenden Einsatzes digitaler Technologien in Bildungseinrichtungen das Schreiben von Hand nicht vernachlässigt werden sollte. Es wird argumentiert, dass die Integration traditioneller Schreibmethoden in den Unterricht zur kognitiven Entwicklung wesentlich beitragen kann. Van der Meer betont die langfristigen Vorteile des Handschreibens: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass das Schreiben von Hand eine unschätzbare Fähigkeit ist, die nicht nur für die individuelle kognitive Entwicklung wichtig ist, sondern auch für das Erhalten einer tiefgründigen Verbindung zwischen Denken und Tun in einer zunehmend digitalisierten Welt.“ [3]

Paper Notebooks vs. Mobile Devices (2021)

In der Studie „Paper Notebooks vs. Mobile Devices: Brain Activation Differences During Memory Retrieval“ von Keita Umejima, Takuya Ibaraki, Takahiro Yamazaki und Kuniyoshi L. Sakai, die in „Frontiers in Behavioral Neuroscience“, Volume 15 – 2021 veröffentlicht wurde, [4] untersuchen die Forscher die Auswirkungen unterschiedlicher Aufzeichnungsmedien auf die Gehirnaktivität und die Erinnerungsleistung. Die Autoren verglichen das traditionelle Schreiben in Papier-Notizbüchern mit der Verwendung mobiler Endgeräte.

In der Studie wurde funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) eingesetzt, um die Gehirnaktivität von Teilnehmern beim Abrufen von Informationen zu beobachten, die entweder auf Papier oder auf mobilen Geräten notiert wurden. Die Ergebnisse zeigen signifikante Unterschiede in der Gehirnaktivität. Die Nutzung von Notizbüchern führt zu einer verstärkten Aktivierung in Bereichen, die mit der Sprachverarbeitung, dem Gedächtnis und der sensorischen Integration verbunden sind. Dies lässt darauf schliessen, dass das Schreiben und spätere Abrufen von Informationen auf Papier die Gehirnvernetzung und -funktion in einer Weise fördert, die das tiefe Lernen unterstützt.

„Our take-home message is to use paper notebooks for information we need to learn or memorize.“ – Kuniyoshi Sakai

Im Gegensatz dazu zeigte die Verwendung mobiler Geräte eine geringere Aktivierung dieser Gehirnbereiche. Dies deutet auf eine oberflächlichere Verarbeitung und potenziell schwächere Gedächtnisleistungen hin. Die Studie unterstreicht die Bedeutung physischer Interaktion mit dem Lernmaterial und wirft wichtige Fragen bezüglich der zunehmenden Integration von digitalen Technologien in den Bildungssektor auf. Die Forscher empfehlen, traditionelle Lernmethoden nicht zu unterschätzen und diese in die moderne Lernumgebung zu integrieren, um optimale Lernergebnisse zu erzielen.

Fazit

In drei Beiträgen habe ich nun eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammengefasst, welche meiner Meinung nach zumindest in der Tendenz aufzeigen, dass (1) das Schreiben von Hand auf Papier eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt, (2) das Schreiben mit einem Stift auf einem Display dem Schreiben von Hand sehr nahe kommt und (3) das Tippen auf einer Tastatur in einigen Kontexten am wenigsten hilfreich ist.

Es war jedoch nie meine Absicht, eine der drei Schreibtechniken besonders hervorzuheben oder die anderen zu verteufeln. Wie die meisten Autoren der Studien bin auch ich der Meinung, dass eine gesunde Mischung wahrscheinlich die besten Ergebnisse liefert.

Ich werde für den Augenblick auf die Darstellung weiterer Studien verzichten und im letzten Teil der Serie wieder dorthin zurückkehren, wo sie begonnen hat: Der Vorstellung meines Workflows, wie ich Papier und Digital verknüpfe. Versprochen!

Dieser Beitrag ist Teil einer lockeren Serie:
1. Papier und Digital effizient verbinden (1): Die Medium-Methode
2. Papier und Digital effizient verbinden (2): Wie das Schreiben von Hand das Lernen und die Gedächtnisleistung fördert
3. Papier und Digital effizient verbinden (3): Und was ist mit Stift auf Display?
4. Papier und Digital effizient verbinden (4): aktuelle Studienergebnisse als Nachtrag
5. Papier und Digital effizient verbinden (5): Meine Medium-Mobile-Methode

Fussnoten [1] Lohner, David. „Digital Notieren und digital Schreiben“. In Wissenschaftliches Schreiben in den MINT-Fächern: Der Schreibratgeber für alle Texte im Studium, von Eva Kaufholz-Soldat und Sarah Herfurth, 37–49, 1. Aufl. Stuttgart, Deutschland: utb GmbH, 2023, S. 38. https://doi.org/10.36198/9783838559513. [2] https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2023.1219945/full [3] https://www.frontiersin.org/news/2024/01/26/writing-by-hand-increase-brain-connectivity-typing [4] https://doi.org/10.3389/fnbeh.2021.634158

Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet.

Bildquellen 1. pexels.com 2. Frontiers in Psychology.

Topic #Erwachsenenbildung


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