KontaktSplitter

Drei Monate “Kontaktsemester”: Gedanken, Gefühle, Geschichten

Es war eine gute Zeit, und nun geht sie zu Ende. Morgen ist mein letzter Tag im Kontaktsemester. Ich will ihn nutzen, um schon mal einen Überblick zu bekommen, was danach dienstlich alles auf mich zukommt. Also ist es inoffiziell irgendwie auch schon der erste Tag wieder im Dienst.

Ein Bericht ist geschrieben, ein paar Vorhaben habe ich formuliert, vom frischen Wind in meinem Kopf werde ich hoffentlich eine Weile profitieren. Ich freue mich auf den Wiedereinstieg in die Gemeinde, auf die Menschen, auf die neue Gruppe der Konfirmand*innen, mit denen wir bald starten werden, auf die schönen Gottesdienste in der Predigerkirche und darauf, selbst wieder welche zu halten... Noch immer beschäftigt mich vieles, was ich in den letzten drei Monaten (vor allem in Bradford) erlebt, gefühlt oder gedacht habe. Vielleicht wird manches davon weitergehen.

Diesen Blog schließe ich nun erst einmal wieder. Es ist der zweite auf dieser Plattform nach den Advent-Gedanken vom letzten Jahr. Der nächste kommt sicher irgendwann, wenn es sich anbietet. Macht's gut und bleibt behütet.

In der Soziologie ist von Dritten Orten die Rede: Orte, die den Menschen einen Ausgleich zu Arbeit und Familie bieten. Orte, an denen alle willkommen sind, an denen sich Hierarchien nivellieren, Menschen miteinander ins Gespräch kommen und eine spielerische Atmosphäre herrscht. Menschen brauchen solche Dritten Orte.

Ich frage mich, wo es Dritte Orte in Erfurt gibt. Die Bibliothek? Die Wiese vor der Predigerkirche am Gustav Adolf Brunnen? Ein Kriterium für einen guten Dritten Ort könnte sein, ob du wirklich schnell mit anderen ins Gespräch kommst. Und: ob Menschen in ihrer Vielfalt dort selbstverständlich aufkreuzen: Arme, Reiche, Bildungsferne, Gebildete, Queere, Migrant*innen, Menschen verschiedener Generationen, du und ich...

So gesehen braucht es solche Orte wohl eher noch in unserer Stadt.

Hier ist übrigens noch ein Lese-Tipp zu theologischen Implikationen: Street Theology, in der die Eckkneipe zum theologischen Lernort wird.

#Gesellschaft

Es ist doch wohltuend, zwischendurch einmal zu fühlen, dass man in Gottes Hand ist, und nicht immer und ewig sich durch die Winkel einer wohlbekannten Stadt zu schleichen, wo man immer einen Ausweg weiß.

(Sören Kierkegaard)

#Loslassen #Spiritualität

Natürlich habe auch ich ärgerliche Erfahrungen mit der maroden Bahn in Deutschland. Und doch finde ich es fantastisch, wenn ich von Erfurt in ein kleines dänisches Städtchen fahre und die Zeit, die auf dem Fahrplan steht, am Ende auf die Minute stimmt. Rund 700 km, bequem gefahren, zwei Umstiege, im Gespräch mit 20 anderen aus der Gruppe, 10,5 Stunden – zu einem durchaus vernünftigen Preis. Ich weiß schon, warum ich gern Zug fahre.

Beim Feierabendgespräch “Weltoffenes Thüringen” auf dem Erfurter Fischmarkt hat mich angesprochen, dass immer wieder betont wurde: Es geht nicht nur um die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte, sondern insgesamt um ein Miteinander in Diversität. Dazu kam der Gedanke, dass in der Stadt Orte der Begegnung fehlen, an denen sich Menschen in Ihrer Unterschiedlichkeit begegnen und kennenlernen können.

Vielleicht brauchen wir einfach ein Café der Diversität, einen Dialog-Raum, in dem alle so sein dürfen, wie sie sind, und in dem alle miteinander ins Gespräch kommen können ...

Aspekte von Diversität

Immer wieder begeistert bin ich von der Mittelthüringer Kulturlandschaft. Jetzt, wo ich gerade ein bisschen mehr Zeit dafür habe, wird es noch einmal besonders deutlich. Sicher habe ich nicht alles mitbekommen. Manches liegt wohl auch außerhalb meiner “Blase”. Und trotzdem ist es eine große Vielfalt, die sich allein im August gezeigt hat. Ein paar Beispiele:

  • Domstufenfestspiele Erfurt
  • Kulturarena Jena
  • Yiddish Summer Weimar
  • Plattenstufenfestspiele Erfurt
  • Kunstfest Weimar
  • Sommertheater Erfurt
  • Sommertheater Weimar
  • Spiegelarche Roldisleben

Und von Erfurt aus ist alles (außer Roldisleben) mit ÖPNV oder Zug erreichbar. Inklusive Rückfahrt am späten Abend. Ich liebe es!

Heute war ich in Weimar zu einem Demokratie-Fachtag. Es ging um das Thüringen-Projekt des Verfassungsblog. Dabei wurde recherchiert, welche Szenarien wahrscheinlich sind, wenn eine “autoritär populistische Partei” bei der Wahl am Sonntag mehr als 33% der Sitze erringen würde (oder gar 50%, was Gott sei Dank nicht wahrscheinlich ist). Länder wie Ungarn machen es uns ja vor.

Ja, es war total interessant. Das Buch von Maximilian Steinbeis hatte ich schon gelesen. Aber der Tag lässt mich auch ratlos zurück. Was soll man tun, wenn jede*r dritte Wähler*in in Thüringen sich genau so eine Unterwanderung der Demokratie wünscht und diese Partei wählt?

Ich erlaube mir einen kurzen Augenblick der Resignation. Aber dann: Lasst uns weiter einsetzen für eine starke Demokratie!

#Gesellschaft

Fragt man verschiedene Menschen, was das wichtigste für die Demokratie ist, bekommt man sicher verschiedene Antworten. Beispiele, die ich mir vorstellen kann, sind:

  • Dass es freie Wahlen gibt.
  • Dass “die da oben machen, was das Volk will” (und was dann konkret heißt: was ich richtig finde).
  • Dass immer im Sinne der Mehrheit entschieden wird.
  • Dass alle gleichberechtigt sind.
  • Dass die Menschen miteinander reden.
  • ...

Ich glaube: Das wichtigste ist, dass jede Person den Spielraum und die Freiheit, die sie hat, nutzt, um das zu erreichen, was sie gesellschaftlich wichtig findet. Und dass sie dabei in Betracht zieht, was das für die anderen Menschen und Gruppen bedeutet. Dazu kommt, dass jede*r die Personen in die Entscheidungsgremien wählt, von denen er oder sie sich dabei am besten unterstützt fühlt.

Aus diesem Gefühl dafür, dass ich selbst für meine Ziele (mit-)verantwortlich bin, entsteht dann die Zivilgesellschaft mit ihren Gruppen, Vereinen, Parteien, Initiativen. Diese Zivilgesellschaft war immer das, wofür ich Deutschland am meisten geliebt habe.

Im Übrigen bin ich überzeugt davon, dass dieses Konzept der tätigen Selbstverantwortung auch die Grundlage jeder Kirchengemeinde ist (sein sollte) – dort verbunden mit dem persönlichen Glauben der Menschen.

#Gesellschaft

Wenn du drei Wünsche frei hättest, was würdest du dir wünschen?

Aber überleg es dir gut. “Denn drei Wünsche sind nicht vier Wünsche oder fünf, sondern drei.

Und denk dran: “Wünsche sind nur gut, solange man sie noch vor sich hat.” Viel Glück!


Die Zitate stammen aus Das Märchen von Glück von Erich Kästner

#Poesie

»Bringen Sie mich auf der Stelle zurück zum Wasser und der Erde, die unsere Heimat sind!
Was ist denn dieses prächtige Europa anderes als reden Sie leise, gehen Sie langsam, stehen Sie auf, setzen Sie sich, ziehen Sie die Gardinen zu, verhalten Sie sich unauffällig, stellen Sie sich tot.
«
(Navid Kermani)

Blick auf eine #Gesellschaft, die manchmal die Balance zwischen Rücksicht und Lebendigkeit verliert...