Genau betrachtet, habe ich seit meiner Kindheit (implizit oder explizit) gelernt, dass Menschen besser sind, die
gut reden und klar denken können,
schnell und effektiv sind,
intelligent und gut ausgebildet sind,
sich auch in schwierigen Situationen unter Kontrolle haben,
gut und den Regeln gemäß gekleidet sind ...
Eine der wichtigsten Aufgaben traditioneller Schule zum Beispiel scheint zu sein, genau das zu vermitteln. Wer die Anforderungen erfüllt, ist gut. Wer immer nur eine 4 bekommt, ist schlecht. Nur sehr selten spielen andere Fähigkeiten eine Rolle.
Es ist ein langer Weg, das wieder zu verlernen, wenn man zu denen gehört, die immer als die “guten” gelesen wurden. Was das betrifft, bin ich sehr dankbar für meinen Glauben und für alles, was ich in der Themenzentrierten Interaktion und in der Mediationsausbildung gelernt habe. Und ich bin dankbar für viele Begegnungen mit #Menschen, die in ihrer großen Unterschiedlichkeit so wunderbar sind.
Wie schwer es bleibt, merke ich beispielsweise, wenn ich einem abhängigen Wohnungslosen begegne oder in einer Gesprächsrunde auf Menschen treffe, die es schwer haben, sich klar auszudrücken.
Gestern im Gottesdienst in West Bowling waren 58 Menschen (14 davon Kinder). Es wurde gefragt, wie “Hallo” in den jeweiligen Muttersprachen der Leute heißt. Und es kamen 12 Muttersprachen zusammen. So ist Bradford.
Ich sitze im Zentrum einer Großstadt auf einer Bank. Es ist ein warmer Tag und ich sehe die Menschen, die vorbeikommen:
Ein junger Mann. Aufrecht. Den Kopf erhoben. Langsam einen Schritt vor den anderen.
Zwei Jugendliche in Schuluniform, POC, albern miteinander im Gespräch. Offenbar froh, dass die Schule für heute aus ist. Noch zwei Schultage bis zu den Ferien.
Ein Herr in seinen 50ern, eine Angel in der Hand. Den Rucksack auf dem Rücken. Er hat wohl noch etwas vor heute.
Zwei junge Frauen, den Kopf verschleiert, sorgfältig geschminkt, mit stolzem Blick und Gang, angeregt miteinander im Gespräch.
Eine andere Frau, rote Haare, schnellen Schrittes und einen Blick, der sich nicht ablenken lässt. Eile spricht aus jeder Faser.
So könnte ich lange sitzen. Menschen betrachten, womöglich Geschichten zu ihnen erfinden. Die Menschen gehen vorüber, ohne mich zu bemerken und leben ihr Leben, was auch immer sie gerade an Freude oder Kummer zu tragen haben...
Vielleicht ist jemand dabei, mit dem ich mich gut verstehen würde. Oder eine, die gerade meine Hilfe brauchen könnte. Eine, die momentan die glücklichste Zeit des Lebens erlebt. Einer, der noch heute etwas ganz Neues beginnt. Ich werde es nicht erfahren.
Pupusas sind eine typische Speise in El Salvador. Die habe ich heute beim Besuch einer Familie gegessen. Und ich war beeindruckt. Nicht nur und nicht vor allem vom Essen.
Ich war beeindruckt von der Familie, die 2019 zu Hause in El Salvador alles aufgeben musste. Sie hatten ein Elektro-Geschäft und sind ständig von Banden bedroht worden. Hier in England haben sie mit nichts wieder angefangen und zunächst den Covid-Lockdown erlebt. Sie haben (einigermaßen) die Sprache gelernt, ein Studium abgeschlossen, Arbeit gefunden, die Kinder in der Schule unterstützt. Und bei alldem strahlen sie eine große Lebensfreude aus.
Dass #Menschen bei solchen Erfahrungen soviel JA zum Leben behalten können, das nötigt mir jeden Respekt ab.
“Zu verkaufen”, so steht an diesem Imbiss. Tische stehen schon keine mehr drin. Es wundert uns nicht. Vieles steht leer oder ist geschlossen in dieser kleinen Stadt an der Walisischen Küste, die wohl schon deutlich bessere Zeiten gesehen hat.
Aber während unsere Fisch & Chips in der Fritteuse braten, kommen wir mit der älteren Dame ins Gespräch. Sie muss so um die 75 sein. “Nein.”, sagt sie, “Das Geschäft läuft immer noch gut. Aber ich bin nun zu alt dafür. Ich habe es sehr lange gemacht.”
Ich stelle mir vor, wie sie seit Jahrzehnten Fisch & Chips verkauft, Tag für Tag. Wahrscheinlich kennt sie die halbe Einwohnerschaft beim Namen. Für jede und jeden ein freundliches Wort. So wie heute auch für uns. Und nun soll Schluss sein?
Ich habe ja selbst eine Weile gebraucht, um nicht sofort auf meine Vorurteile reinzufallen (und tue es natürlich auch heute noch immer wieder). Aber wie wundervoll ist es doch, dass #Menschen so unterschiedlich sind, auch in ihrem Geschmack.
Klar, manchmal denke ich: 'Wie kann der*die so rumlaufen? Sollte doch merken, dass er oder sie komisch aussieht.' Aber am Ende ist es doch nur ungewöhnlich. Oder verbunden mit Erfahrungen, die ich gemacht habe, die aber mit der konkreten Person nichts zu tun haben. Oder mit meinem Geschmack, der wahrlich nicht die objektive Wahrheit ist.
Deshalb: Lasst sie uns schätzen – die Dicken, die Dünnen, die Normalen, die Adretten, die Schrägen, die Bunten, die Grauen, die Tätowierten, die Schnellen, die Langsamen, die Schrillen, die Ungewohnten ....
Gott, sei mir gnädig, denn ich bin schwach;
heile mich, Gott, denn meine Gebeine sind erschrocken
und meine Seele ist sehr erschrocken.
Ach du, Gott, wie lange!
(Psalm 6,3f)
Ich sitze beim gemütlichen Tee und lese den Bibelvers für heute aus dem Herrnhuter Losungsbuch. Zwei Gefühle sind sofort da: Freude und Dankbarkeit für das, was ich habe. Und Mitgefühl für #Menschen, die dieses Gebet sprechen. Gleich habe ich welche vor Augen.
Und ich habe Respekt davor, wie zerbrechlich alles ist.
Den Kopf oben, ein Lächeln im Gesicht – so gehe ich durch die Stadt. Was mir begegnet: #Menschen, die manchmal erstaunt schauen. Aber dann kommt es doch. Sie lächeln zurück.
Beglückt gehe ich nach nur 15 Minuten wieder heim.
Heute habe ich Leute getroffen, die soziale Arbeit machen: Therapie, Begleitung und Beratung für Menschen mit Fluchterfahrung, für Opfer von Gewalt, für Personen, die Traumata erlebt haben.
Wie so oft bin ich beeindruckt davon, wie engagiert, diese (oft ziemlich jungen) Menschen sich für andere einsetzen, mit welchem Einfühlungsvermögen und welchem Ethos sie diese Arbeit tun. Es sind so gute Schwingungen für unser Land, die von dieser Tätigkeit immer wieder ausgehen, oft ohne, dass es die Gesellschaft wirklich merkt und anerkennt. Toll!
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