Es hat mich begeistert: das Musical Anatevka. Es war ein großartiger Abend, an dem auf den Domstufen zu Erfurt der kleine ost-jüdische Ort zum Leben erwachte und Tewje seine letzlich doch so traurige Geschichte erzählte. Dazu die Musik, die mich tief berührt hat.
Wieder zu Hause habe ich den Roman von Scholem Alejchem gefunden. Die schöne Ausgabe mit den Bildern von Anatoli Kaplan, die seit 1984 bei uns im Regal steht. (Damals 32,– Mark, was für ein Buch in der DDR ein horrender Preis war.) Und nun, nachdem ich das Buch neu gelesen habe, kommt es mir vor wie ein tiefer, lebendiger See. Und das Musical wie ein seichter Teich – so schön es auch ist. Also meine Empfehlung: Lest (auch) das Buch.
Diese Welt der Ostjuden. Was könnten wir bis heute davon haben, wenn sie nicht schon damals in Russland und dann 35 Jahre später vollends von den völkisch verblendeten Deutschen zerstört worden wäre... Wie viele Menschen!
Nach einem ganzen Monat sind sie mir ans Herz gewachsen: die Menschen hier, die Kirchengemeinde, die Landschaft sowieso. Und sogar diese spezielle Stadt, in der ich gelebt habe. Vieles nehme ich im Herzen mit, wenn ich jetzt wieder nach Hause fahre.
Was bleibt, sind viele Erfahrungen mit einer fröhlichen Kirche auf dem Weg. Was bleibt, sind Bilder von Landschaften und Städten. Was bleibt, ist die Liebe der Menschen, die ich gespürt habe. Und meine Liebe zu den Menschen, die ich nun verlasse.
Hier in Bradford gibt es einen wunderbaren Buchladen. Er ist in die alte Woll-Börse (Wool-Exchange) hineingebaut. Das ist ein prachtvoller viktorianischer Saal, in dem in früheren Zeiten Wolle und Textilien verkauft und gekauft wurden. Heute ist der atemberaubende Raum vollgestellt mit Bücherregalen.
Und das schönste: Wenn man die Treppe heraufgeht (oder den Lift nimmt), ist dort auf der Galerie ein sehr schönes Cafe mit einer Glasfront, die den Blick auf die Fußgängerzone draußen freigibt.
Wie schön ist es, dort mit einer Tasse Capuccino zu sitzen und nach draußen zu schauen oder in einem der vielen Bücher zu blättern.
Ich habe heute bei einer Art Tafel mitgemacht. Menschen mit zu wenig oder ohne Einkommen zahlten einen kleinen Betrag und bekamen dafür Lebensmittel, die im Supermarkt sehr viel mehr gekostet hätten. Dahinter stehen auch öffentliche Mittel, die es hier allerdings wohl nur noch bis September geben wird.
Ich frage mich immer wieder, was es für die Menschen bedeutet, von solchen Angeboten abhängig zu sein. Und was es für sie heißt, wenn Angebote entstehen, dann aber zurückgefahren werden, weil die Finanzierung befristet ist...
“Zu verkaufen”, so steht an diesem Imbiss. Tische stehen schon keine mehr drin. Es wundert uns nicht. Vieles steht leer oder ist geschlossen in dieser kleinen Stadt an der Walisischen Küste, die wohl schon deutlich bessere Zeiten gesehen hat.
Aber während unsere Fisch & Chips in der Fritteuse braten, kommen wir mit der älteren Dame ins Gespräch. Sie muss so um die 75 sein. “Nein.”, sagt sie, “Das Geschäft läuft immer noch gut. Aber ich bin nun zu alt dafür. Ich habe es sehr lange gemacht.”
Ich stelle mir vor, wie sie seit Jahrzehnten Fisch & Chips verkauft, Tag für Tag. Wahrscheinlich kennt sie die halbe Einwohnerschaft beim Namen. Für jede und jeden ein freundliches Wort. So wie heute auch für uns. Und nun soll Schluss sein?
Babylon, Iran, Japan, Sudan... Zum Beispiel im British Museum in London gibt es tonnenweise unermessliche Schätze aus aller Welt. Ich bin fasziniert. Eine kleine Figur aus Boetien ( 5. Jahrhundert v. Chr.) hat es mir besonders angetan: Mutter und Baby. Welche Schönheit!
Und ich stelle mir vor: Wie viel Krieg, Kolonialismus, Räuberei stehen dahinter, dass diese Schätze jetzt in Europa zu sehen sind? Provenienzforschung steht erst am Anfang. Führt sie dazu, dass die großen Museen sich leeren und die Schätze vor Ort zu sehen sein werden?