Herr Most destilliert und konsumiert – Benjamin R. Tucker

Herr Most destilliert und konsumiert.

Nachdem Herr Most in der „Freiheit“ vom 19. Mai seine Absicht erklärt, mit mir endgültig abzurechnen, bringt er in der „Freiheit“ vom 26. Mai seinerseits die Kontroverse mit mir durch eine so homöopathische Verdünnung seiner früheren Artikel, dass sie kaum eine Berücksichtigung verdient, zum Abschluss. Kurz zusammengefasst sind die Punkte, die er geltend zu machen versucht, die folgenden: dass die Polemik zwischen uns eine ungleiche sei, weil er zitiere und dann kritisiere, während ich kritisiere ohne zu zitieren; dass ich, und nicht er, der Hauptfrage ausgewichen sei, indem das Privateigentum die Kernfrage bilde, während ich auf der Erörterung des Proudhon’schen Banksystems bestehe; dass er Liberty seit nahezu sechs Jahren gelesen habe, ohne eine plausible Darlegung jenes Systems zu finden, und dass was ich in meiner letzten Antwort darüber vorbrachte, wohl alles sei, was die Theorie decke; dass das System in Deutschland und anderswo schon verschiedentlich zur Anwendung gelangt sei, ohne ein anderes Resultat zu zeitigen, als dass sich etliche hundert Kleinbürger eine Weile länger gegen das Grosskapital halten konnten; dass ich Proudhons Werke nur halb zu verstehen scheine; dass wenn ich die „Freiheit“ ganz lesen würde, statt nur solche Stellen, die sich mit mir beschäftigen, ich bald erfahren würde, wie die Dinge eigentlich liegen; dass das Proudhon’sche Banksystem nicht einen einzigen Verfechter mehr in Europa habe; und dass, wenn wir erst einmal mit den politischen Tyrannen fertig wären, die ökonomischen uns nicht mehr gefährlich sein könnten, da die Letztern mit den Erstern sicherlich das Genick gebrochen haben würden, zumal ja beide Sorten wesentlich ein und dieselben Personen seien.

Ich erwidere hierauf mit gleicher Kürze und Knappheit, dass ich Herrn Mosts Standpunkt in meinen eigenen Worten stets getreu wiedergab, während er den meinigen durch zweckentsprechende Zitate missrepräsentierte; dass das Privateigentum nicht die Kernfrage bildete, da Herr Most versprochen hatte, den Kommunismus zu Gunsten des Privateigentums fallen zu lassen, wenn ich ihm zeigen würde, dass das Letztere mit Grossbetrieb ohne Ausbeutung der Arbeit verträglich sei, infolgedessen die Begründung dieser Verträglichkeit zur Kernfrage wurde; dass das Prinzip des Proudhon’schen Banksystems in Liberty wiederholt erörtert worden ist, und zwar viel gründlicher und ausführlicher als in der gegenwärtigen Kontroverse; dass weder dieses noch irgendein ähnliches System, soviel ich weiss, je zur unbehinderten Anwendung gelangt, und dass wenn mein Wissen in dieser Hinsicht mangelhaft ist, es an Herrn Most liegt, die Lücke durch eine genaue Spezifikation von Tatsachen auszufüllen; dass er gleichen Umständen diejenigen Völker und diejenigen Zeitabschnitte das grösste materielle Wohlergehen aufweisen, in welchen die finanziellen Institutionen sich der Proudhon’schen Idee annäherten; dass die Proudhon’schen Werke zur Hälfte zu verstehen besser ist, als sie gar nicht zu verstehen; dass eine Anzahl intelligenter Personen aus meinem Bekanntenkreise, welche die „Freiheit“ gründlich lesen, mir mitteilen, dass es ihnen nicht gelungen sei, einen solchen Vorteil daraus zu ziehen, wie ihn Herr Most mir verspricht, dass gerade in der jüngst verflossenen Zeit ein Buch von mehreren hundert Seiten in Paris erschienen ist, welches Proudhons Banktheorien in fähiger Weise darlegt und verficht, „La Question Sociale“ von Emile Chevalet; dass viele Ideen von der höchsten Bedeutung in die Welt geworfen worden sind, nur um unter dem Druck der Reaktion Jahre lang im Verborgenen liegenzubleiben, ehe sie wieder auftauchten und ihre Verwirklichung fanden; und dass es durchaus der Wahrheit gemäss ist, dass die ökonomischen Privilegien mit der Abschaffung der politischen Tyrannen verschwinden werden, eine Tatsache, welche die individualistischen Anarchisten den „kommunistischen Anarchisten“ gegenüber stets betont haben, welch letztere aber beharrlich auf der Behauptung bestanden, dass die Abschaffung des Staates nicht genüge, und dass eine besondere Kampagne gegen die ökonomischen Privilegien nötig sei. In diesem letzten Satze seiner Schlussworte begibt sich Herr Most seines ganzen Standpunkts.

T.

(Libertas 6, Samstag, 02. Juni 1888, S. 5 und 8.)

Anmerkungen