Schlaf: Die unterschätzte Ressource für besseres Lernen
In meiner Tätigkeit als Dozent spreche ich häufig mit meinen Studierenden darüber, wie sie richtig lernen können. Dabei vermittle ich wissenschaftlich fundierte Methoden, die das #Lernen effizienter und nachhaltiger machen. Eine der zentralen Empfehlungen, die ich regelmässig betone, betrifft den Schlaf: Wer ausreichend schläft, kann das Gelernte besser verarbeiten und behalten. Doch aktuelle Forschungsergebnisse aus Japan zeigen nun, dass Schlaf noch weit mehr bewirkt: Er bereitet das Gehirn aktiv auf zukünftiges Lernen vor.
Eine neue Perspektive auf den Schlaf
Schlaf galt bislang primär als Phase, in der Erlerntes konsolidiert und dauerhaft im Gedächtnis verankert wird. Doch ein Forschungsteam um Kaoru Inokuchi von der University of Toyama legt mit seiner aktuellen Studie, veröffentlicht unter dem Titel „Parallel processing of past and future memories through reactivation and synaptic plasticity mechanisms during sleep“ in Nature Communications (April 2025), nahe, dass Schlaf auch eine vorbereitende Funktion auf neue Lerninhalte hat.
Mithilfe modernster Bildgebungstechniken verfolgten die Wissenschaftler die Aktivität einzelner Nervenzellen bei Mäusen während Lern- und Schlafphasen. Dabei identifizierten sie neben den bereits bekannten sogenannten Engramm-Zellen, die für das Speichern bestehender Erinnerungen verantwortlich sind, auch eine neue Zellpopulation: die Engramm-to-be-Zellen. Diese Neuronen synchronisieren sich während des Schlafs und bilden die Grundlage für das spätere Abspeichern neuer Erfahrungen.
Inokuchi erklärt dazu: „Engramm-to-be-Zellen zeigten während des Schlafs eine verstärkte gemeinsame Aktivität mit bestehenden Engramm-Zellen, was darauf hindeutet, dass diese Interaktion zur #Bildung neuer Gedächtnisnetzwerke beiträgt.“ Schlaf ist demnach keine rein rückwärtsgewandte Konsolidierung, sondern zugleich eine vorausschauende Vorbereitung auf das Kommende.
„Wir wollen, dass die Menschen verstehen: Schlaf ist nicht nur Ruhe – er spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie das Gehirn Informationen verarbeitet.“ – Studienautor Kaoru Inokuchi
Was Schlafmangel im Gehirn anrichtet
Die Bedeutung ausreichenden Schlafs wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, welche Folgen Schlafmangel auf das Gehirn hat. Zwei aktuelle Studien zeigen, dass sowohl kurzfristige als auch chronische Schlafstörungen tiefgreifende Auswirkungen auf kognitive Leistungsfähigkeit und emotionale Stabilität haben können.
Eine umfassende Metastudie des Forschungszentrums Jülich, veröffentlicht in JAMA Psychiatry, zeigt: Chronischer Schlafmangel verändert Hirnregionen wie den Hippocampus und die Amygdala – Areale, die für Gedächtnis, Gefühlsverarbeitung und Entscheidungsfindung zentral sind. Kurzfristiger Schlafentzug wiederum beeinträchtigt den Thalamus, der unter anderem für Aufmerksamkeit und Bewegungskoordination zuständig ist. Die Forscher kommen zum Schluss: „Schlechter Schlaf ist einer der wichtigsten – aber veränderbaren – Risikofaktoren für psychische Erkrankungen bei Jugendlichen und älteren Menschen.“
Auch eine Studie der Universität Cambridge und der Universität Fudan, veröffentlicht in Cell Reports, bestätigt, wie sensibel das Gehirn auf selbst geringe Veränderungen in der Schlafdauer reagiert. Jugendliche, die pro Nacht nur wenige Minuten länger schliefen, erzielten in kognitiven Tests bereits signifikant bessere Ergebnisse. „Schon ein bisschen mehr Schlaf zählt“, betont die Neuropsychologin Barbara Sahakian.
Diese Erkenntnisse verdeutlichen: Guter Schlaf ist nicht nur ein Vorteil – er ist eine Notwendigkeit für geistige Gesundheit und Lernfähigkeit. Wer ihm zu wenig Raum gibt, riskiert nicht nur Leistungsabfall, sondern auch langfristige gesundheitliche Folgen.
Konsequenzen für Lernende
Für Schülerinnen, Schüler und Studierende ergeben sich daraus wichtige Implikationen. Wenn Du optimal lernen möchtest, reicht es nicht aus, lediglich fleissig zu sein und viele Stunden in Bücher zu investieren. Entscheidend ist vielmehr, dass Du Deinem Gehirn genügend Zeit für hochwertige Schlafphasen gibst – sowohl nach dem Lernen als auch vor neuen Lernabschnitten.
Dies bedeutet: Wer sich vor wichtigen Lernphasen regelmässig um guten Schlaf bemüht, verbessert nicht nur die Festigung bereits vorhandener Kenntnisse, sondern steigert auch die eigene Aufnahmefähigkeit für neues Wissen. Schlaf ist somit nicht nur Nachbearbeitung, sondern Vorbereitung – ein aktiver Bestandteil des Lernprozesses.
Gerade bei intensiven Lernperioden, wie etwa während Prüfungsvorbereitungen oder beim Erlernen neuer komplexer Themenfelder, kann der bewusste Einbau von ausreichendem Schlaf zwischen den Lerneinheiten entscheidend über den Lernerfolg mitbestimmen.
Konsequenzen für Lehrende
Für uns als Lehrende ergeben sich daraus ebenfalls zentrale Erkenntnisse. Wir sollten unsere Bildungsangebote so gestalten, dass Lernende den notwendigen Raum für Schlaf und Erholung erhalten. Dies könnte heissen:
- Lernrhythmen so planen, dass sie abwechselnd Phasen intensiver Informationsaufnahme und Erholungszeiten vorsehen.
- Prüfungen und Leistungserhebungen so terminieren, dass die Lernenden nicht gezwungen sind, in den Tagen zuvor auf Schlaf zu verzichten.
- Bewusstsein schaffen für die Rolle des Schlafes als integralen Bestandteil erfolgreichen Lernens – nicht als nachrangigen Luxus.
Es liegt an uns, eine Lernkultur zu fördern, in der Schlaf nicht als Zeichen von Schwäche oder mangelndem Einsatz gilt, sondern als Voraussetzung für geistige Höchstleistungen.
Wie kannst Du diese Erkenntnisse für Dein Lernen umsetzen?
Zum Abschluss drei konkrete Empfehlungen für die Praxis:
Plane Deinen Schlaf bewusst ein:
Behandle Schlaf wie eine feste Lerneinheit. Plane nicht nur, wann Du lernst, sondern auch, wann Du schläfst. Achte auf regelmässige Schlafenszeiten und möglichst ungestörte Schlafphasen.Nutze den Schlaf als Teil Deiner Lernstrategie:
Verteile Lerninhalte auf mehrere Tage statt auf eine einzige lange Lernsitzung. Gib Deinem Gehirn die Möglichkeit, nach jedem Lernabschnitt durch Schlaf sowohl das Gelernte zu konsolidieren als auch die Aufnahmefähigkeit für Neues zu erhöhen.Vermeide Schlafmangel in entscheidenden Lernphasen:
Kurzfristige Erfolge durch „Durchlernen“ in der Nacht sind trügerisch. Schlafmangel beeinträchtigt nicht nur das Erinnerungsvermögen, sondern auch die Fähigkeit, neues Wissen effizient aufzunehmen. Guter Schlaf vor Lernphasen ist genauso wichtig wie danach.
Fazit
Schlaf ist eine aktive Ressource, die sowohl das Festigen von Gelerntem als auch die Vorbereitung auf neues Wissen unterstützt. Die Forschung liefert damit ein weiteres starkes Argument dafür, Schlaf als unverzichtbaren Bestandteil jeder ernsthaften Lernstrategie zu betrachten. Wer klug lernt, lernt nicht nur – sondern schläft auch.
Dieser Beitrag ist Teil einer lockeren Serie: |
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1. Effektiv und nachhaltig lernen: 4 wissenschaftlich fundierte Strategien |
2. Effektiv und nachhaltig lernen (2): weitere wissenschaftlich fundierte Strategien |
3. Die 2-7-30-Regel: Eine einfache Methode, Spaced Repetition umzusetzen |
4. Schlaf: Die unterschätzte Ressource für besseres Lernen |
Bildquelle Konstantin Andrejewitsch Somow (1869–1939): A Sleeping Woman, Tretyakov Gallery, Moskau, Public Domain.
Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet. Für die Recherche in den erwähnten Werken/Quellen und in meinen Notizen wurde NotebookLM von Google verwendet.
Topic #Erwachsenenbildung