Heute werde ich 50. Eine runde Zahl, die sich leise, aber deutlich bemerkbar macht – nicht nur im Pass, sondern auch in meinem inneren Koordinatensystem. Halbzeit vielleicht, wahrscheinlich auch schon mehr als das. Jedenfalls ein Anlass, innezuhalten. Und ehrlich gesagt: Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. 50 – das klingt nach Verantwortung, nach gereiftem Urteil, vielleicht sogar nach leichter Verbitterung. Nach Jahren, in denen man die Welt ernst genommen hat. Manchmal zu ernst. Dabei entdecke ich gerade eine neue Leichtigkeit. Nicht die sorglose, euphorische Art der Zwanziger, sondern eine leisere, stabilere Form: eine Gelassenheit, die nicht vorgibt, alles im Griff zu haben, aber auch nicht mehr alles beweisen muss. Und ich beginne zu verstehen, dass genau darin eine Form von Freiheit liegt, die ich früher übersehen habe.
Kaum ist das Handy entsperrt, prasseln sie auf uns ein: Nachrichten, Meinungen, Bilder, Konflikte. Was als kurzer Blick auf die Uhr begann, endet oft in einem rastlosen Zappen durch Krisen, Konflikte und Konsum. Zwischen Schlagzeilen, Mitteilungen und algorithmisch kuratierten Ablenkungen verliere ich leicht das Gefühl für das, was mir wirklich wichtig ist. Der Tag beginnt im Reizmodus – und nicht selten bleibt er dort. In solchen Momenten spüre ich, wie weit ich von dem entfernt bin, was ich eigentlich suche: einen ruhigen, klaren Blick – kurz: Gelassenheit. Doch was heisst das eigentlich? Und wie kann man sie finden, ohne sich in Gleichgültigkeit zu verlieren?
Ich stehe kurz vor meinem fünfzigsten Geburtstag. Eine Zahl, die nüchtern betrachtet nichts anderes bedeutet, als ein weiteres volles Lebensjahrzehnt. Und doch lädt sie zum Innehalten ein. Vielleicht ist es das langsame Abklingen des Tatendrangs, das leise Umordnen der Prioritäten, oder auch nur die schlichte Tatsache, dass meine Wochenenden anders aussehen als früher. Nicht schlechter, aber stiller.
Dabei drängt sich mir eine Beobachtung auf, die ich lange mit einem gewissen Unbehagen betrachtet habe: Ich bin heute öfter alleine als früher. Nicht immer, nicht ausschliesslich – aber doch merklich häufiger. Und noch vor einigen Jahren hätte ich das für ein Warnsignal gehalten. Einsamkeit, so heisst es, sei die neue Volkskrankheit. Rückzug wird rasch mit Mangel gleichgesetzt. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto weniger überzeugt mich diese Gleichung.
Es ist ein Satz, der hängen bleibt: „Wir im Westen befinden uns in einem kollektiven Burnout. Da könnten gewisse Techniken aus dem Kloster helfen. Etwa die Rhythmisierung des Lebens, die Stille. Ohne Stille gibt es keine Visionen, und ohne Visionen können wir die Gesellschaft nicht voranbringen.“ So sagte es Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 19. April 2025. Vielleicht wirkt er so eindringlich, weil er einen wunden Punkt trifft. Kurz nach Ostern, in einer Phase, in der das Jahr seine erste Ermüdung offenbart und das Licht des Frühlings gegen die Schatten der Überlastung antritt, klingt der Gedanke nach Stille, Rhythmus und Vision wie ein leiser Protest gegen die Betriebsamkeit des Alltags.