Muttersprachen
Gestern im Gottesdienst in West Bowling waren 58 Menschen (14 davon Kinder). Es wurde gefragt, wie “Hallo” in den jeweiligen Muttersprachen der Leute heißt. Und es kamen 12 Muttersprachen zusammen. So ist Bradford.
Drei Monate “Kontaktsemester”: Gedanken, Gefühle, Geschichten
Gestern im Gottesdienst in West Bowling waren 58 Menschen (14 davon Kinder). Es wurde gefragt, wie “Hallo” in den jeweiligen Muttersprachen der Leute heißt. Und es kamen 12 Muttersprachen zusammen. So ist Bradford.
“Jeder Person, die das Licht des Glaubens und die Kraft der Liebe als zwei Sehnen ihres Bogens hat, ist erlaubt alles zu tun, was ihr gefällt. Das bezeugt die Liebe selbst, die zur Seele spricht: Liebt, und tut was ihr wollt.“ (Marguerite Porete mit einem Augustinus-Zitat)
Meister Eckart sagt: “Bist du gerecht, so sind auch deine Werke gerecht.“
Vertreter*innen der Glaubensgemeinschaften im Stadtbezirk treffen sich hier regelmäßig zum Faith Forum. Mich spricht an, wie sie dabei überlegen, welche Rolle sie konkret miteinander spielen können, um die Probleme der Community in Angriff zu nehmen. Dabei geht es nicht um Fragen des Glaubens, sondern um eher profane Dinge: Vermüllung, Drugdealing, Raser auf den Straßen, Gewalt-Exzesse zur Bonfire Night. Konkrete Aktionen wurden verabredet oder weitergeführt.
Zu dem Forum gehören: die Gemeide der Church of England, verschiedene muslimische Communities, die Böhmische Kirche, die Sikhs, die Unitarier, die Hindus, eine italienische Mission (katholisch), die Quaker. Es wurde darüber gesprochen, wie man auch die Adventisten und die Serbisch-Orthodoxen mit ins Boot bekommt. Was für eine Vielfalt!
Jedes Treffen beginnt und endet mit einer gemeinsamen Zeit der Stille, die jede*r nach Wunsch natürlich fürs stille Gebet, zum Besinnen oder zur Reflexion nutzen kann.
Ich sitze im Zentrum einer Großstadt auf einer Bank. Es ist ein warmer Tag und ich sehe die Menschen, die vorbeikommen:
So könnte ich lange sitzen. Menschen betrachten, womöglich Geschichten zu ihnen erfinden. Die Menschen gehen vorüber, ohne mich zu bemerken und leben ihr Leben, was auch immer sie gerade an Freude oder Kummer zu tragen haben... Vielleicht ist jemand dabei, mit dem ich mich gut verstehen würde. Oder eine, die gerade meine Hilfe brauchen könnte. Eine, die momentan die glücklichste Zeit des Lebens erlebt. Einer, der noch heute etwas ganz Neues beginnt. Ich werde es nicht erfahren.
Hier in Bradford gibt es einen wunderbaren Buchladen. Er ist in die alte Woll-Börse (Wool-Exchange) hineingebaut. Das ist ein prachtvoller viktorianischer Saal, in dem in früheren Zeiten Wolle und Textilien verkauft und gekauft wurden. Heute ist der atemberaubende Raum vollgestellt mit Bücherregalen.
Und das schönste: Wenn man die Treppe heraufgeht (oder den Lift nimmt), ist dort auf der Galerie ein sehr schönes Cafe mit einer Glasfront, die den Blick auf die Fußgängerzone draußen freigibt. Wie schön ist es, dort mit einer Tasse Capuccino zu sitzen und nach draußen zu schauen oder in einem der vielen Bücher zu blättern.
Zwei Menschen stehen beieinander und reden über den Krieg gegen die Ukraine. Es ist ein Gespräch wie viele. Es geht um die Grausamkeit des Krieges, um das Leid der Menschen dort, um die eigene Hilflosigkeit. Als sich das Gespräch erschöpft, sagt einer der Beteiligten: “Lass uns kurz für die Menschen dort beten!” Ein kurzes Gebet schließt sich an, in dem beide ihre Anliegen mit ein oder zwei Sätzen aussprechen. Nach dem “Amen.” geht das Gespräch normal weiter und es kommt zu anderen Themen.
Gott ganz selbstverständlich einbeziehen in das, was passiert, in das, was uns bewegt...
Und sie sammelten von dem Brot, das in der Wüste lag, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, so viel er zum Essen brauchte. Und Mose sprach zu ihnen: Niemand lasse etwas davon übrig bis zum nächsten Morgen. Aber sie gehorchten Mose nicht. Und etliche ließen davon übrig bis zum nächsten Morgen; da wurde es voller Würmer und stinkend. (2. Mose 16, 17-19)
Das ist die Geschichte davon, wie Gott die Israeliten sättigte, die lieber wieder in die Sklaverei wollten, als in der offenen Unsicherheit zu leben. Was Gott hier gibt: Keinen Überfluss. Keinen Reichtum. Nur genug für heute. Das gleiche für alle. Gewissheit für den jetzigen Tag. Mehr nicht.
Wie ist es mit dem Vertrauen in den morgigen Tag? Kann und will ich auf Vorräte verzichten? Wird es wieder in der Wüste liegen – das Brot? Wird Gott da sein? Wir sind Vorratswirtschaft und Sicherheitsdenken gewöhnt. Und die Unterschiede zwischen denen, die viel, und denen, die wenig haben. Was macht das geistlich mit mir?
Ein Tag der Ruhe und des Aufarbeitens: Fotos bearbeiten, einen Brief schreiben, etwas über Yorkshire lesen, ein kurzer Gang durchs Viertel, beten, einfach nur sitzen und die letzten Tage erinnern... Warten, was kommt. Die Zeit plätschern lassen. Wie wichtig sind solche Langsamfahrstellen im Leben!
Hier in Bradford scheint es keine Minderheiten zu geben, einfach nur verschiedene Gruppen: Muslim*innen mit pakistanischem Hintergrund, Hindus und Sikhs mit indischer Familiengeschichte, weiße englische Familien, Menschen mit familiären Wurzeln in Afrika, Irak, Iran, Syrien, Südamerika, Osteuropa... Ein Sprachengemisch aus Urdu, Arabisch, Polnisch, Swaheli, Russisch, Punjabi, Kurdisch, Hindi, Spanisch, Persisch... Und das alles zusammengeführt in einem Englisch von Hochsprache über Dialekt bis hin zu den gebrochenen Sätzen der Zugewanderten, die manchmal die Sprache nach zwei Jahren fließend sprechen und manchmal nach 15 Jahren noch kaum zu verstehen sind, wenn sie sich in Englisch versuchen.
Auch religiös gibt es eine Große Vielfalt. Längst sind Christ*innen nicht mehr die Mehrheit in der Stadt. Verschiedene Kirchen wechseln sich mit Moscheen und mit den Tempeln der Sikh und der Hindus ab. Als eine überregionale kulinarische Spezialität gilt nicht etwa ein traditionell englisches Gericht, sondern das berühmte Bradford Curry.
Ganz bestimmt geht das alles nicht ohne Schwierigkeiten.. Aber für einen Ostdeutschen wie mich ist es eine Welt der Vielfalt, die mehr Selbstverständlichkeit hat, als ich sie jemals erlebt habe. Vielleicht ist es die Zukunft der globalisierten Welt?
PS: Gerade sehe ich im Kino-Programm, dass dort selbstverständlich Filme in Englisch, Tamilisch, Hindi, Punjabi gezeigt werden.