
Die Frage, ob KI Schülerinnen und Schüler dümmer macht, wirkt auf den ersten Blick reisserisch. Und doch ist sie berechtigt – zumindest, wenn man sich ernsthaft mit den Veränderungen auseinandersetzt, die KI-gestützte Tools wie ChatGPT im schulischen Alltag auslösen. In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geht Lisa Becker diesem Thema differenziert nach. Sie beobachtet eine grosse Bandbreite im Umgang mit KI an Schulen: Von Lehrpersonen, die KI gezielt einsetzen, um Lernprozesse zu fördern, bis hin zu jenen, die deren Existenz weitgehend ignorieren.
Besonders aufmerksam macht Becker auf eine Tendenz, die ich selbst im Bildungskontext immer wieder beobachte: Lernende nutzen #KI in hohem Masse eigenständig – meist ausserhalb des Unterrichts, zum Beispiel beim Vorbereiten von Referaten oder für schriftliche Arbeiten. Sie geben Stichworte ein, lassen sich Zusammenfassungen liefern, schreiben sogar ganze Texte mithilfe von ChatGPT. Der Umgang ist pragmatisch, aber überhaupt nicht reflektiert. Die Lehrperson erfährt in vielen Fällen nicht einmal, ob oder wie KI im Hintergrund mitgewirkt hat. Daraus ergibt sich eine entscheidende Frage: Was passiert mit dem #Lernen, wenn zentrale kognitive Prozesse ausgelagert werden?
Zwischen Hoffnung und Kontrollverlust
Auf der einen Seite steht die Verlockung: KI kann Arbeit abnehmen, Inhalte strukturieren, auf Knopfdruck Wissen bereitstellen. Sie ist schneller als jedes Schulbuch, rund um die Uhr verfügbar und – zumindest auf den ersten Blick – unerschöpflich „kompetent“. Für Schülerinnen und Schüler eröffnet sich damit eine neue Form der Lernhilfe: eine Art Super-Nachschlagewerk, das nicht nur erklärt, sondern auf Wunsch auch analysiert, vergleicht oder interpretiert.
Auf der anderen Seite steht die Sorge, dass genau diese Entlastung zur Entmündigung führt. Becker bringt das auf den Punkt: „Gerade schwächere Schüler sind besonders gefährdet, der Maschine das Denken zu überlassen.“ Wer nicht lernt, mit Informationen umzugehen, sondern sie nur abruft, entwickelt keine eigenen Kompetenzen. Das betrifft nicht nur Fachwissen, sondern vor allem Denkprozesse: das Verstehen, Einordnen, Argumentieren – alles Fähigkeiten, die für ein selbstständiges Lernen und Urteilen zentral sind.
Was passiert beim sogenannten Deskilling?
Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang oft fällt, ist Deskilling. Er bezeichnet den schleichenden Abbau von Fähigkeiten, weil sie nicht mehr regelmässig genutzt werden. Bekannt ist das Phänomen etwa aus dem Umgang mit dem Taschenrechner: Wer selbst einfache Rechnungen nicht mehr im Kopf durchführt, verliert allmählich die Fähigkeit zum Kopfrechnen. Ähnliches gilt im digitalen Kontext: Wer Texte nur noch mit ChatGPT generiert, übt weder persönlichen Stil noch Ausdrucksvermögen.
Beim Lernen heisst das: Wenn die KI anstelle der Lernenden denkt, formuliert und strukturiert, wird der Aufbau eigener Fähigkeiten unterbrochen. Besonders problematisch ist das bei Schülerinnen und Schülern, die sich ohnehin schwertun, Lernprozesse zu steuern. Für sie kann KI – falsch genutzt – zu einer Art Denkprothese werden, die das Lernen scheinbar erleichtert, es aber langfristig behindert.
Cognitive Offloading: Entlastung mit Risiko
Verwandt mit dem Deskilling ist das Konzept des Cognitive Offloading – das gezielte Auslagern kognitiver Aufgaben an Hilfsmittel. In vielen Fällen ist das nicht nur legitim, sondern klug: Wir schreiben Einkaufslisten, nutzen Kalender oder speichern Telefonnummern im Handy. Unser Gedächtnis wird entlastet, damit es sich auf Wichtigeres konzentrieren kann.
Auch beim Lernen kann Offloading nützlich sein: Wer sich von der KI einen Überblick über ein Thema geben lässt, gewinnt Zeit und Energie für die Vertiefung. Wer sich Fragen vorschlagen lässt, kann daraus eigene weiterführende Überlegungen entwickeln. Problematisch wird es jedoch, wenn das Auslagern zur Gewohnheit wird – und die Inhalte nicht mehr hinterfragt werden.
Mehrere Studien stützen diese Einschätzung. Forschende von Microsoft und der Carnegie Mellon University zeigten, dass kritisches Denken messbar abnimmt, wenn Menschen KI-Antworten ungeprüft übernehmen (was erschreckenderweise mehrheitlich der Fall ist). Eine andere Studie weist sogar auf einen Zusammenhang zwischen intensiver ChatGPT-Nutzung und Leistungsabfall hin – inklusive Gedächtnisverlust. Die Technik entlastet nicht nur – sie verführt auch zur Passivität.
Die entscheidende Frage: Wer denkt hier eigentlich?
Lernen ist kein Konsumvorgang. Wer nur auswählt, zusammenkopiert und weitergibt, hat noch nichts verstanden. Künstliche Intelligenz ist ein mächtiges Werkzeug, aber sie übernimmt das Denken nicht – zumindest nicht auf eine Weise, die #Bildung fördern würde. Was sie liefert, ist Oberflächliches: sprachlich geschliffen, oft logisch aufgebaut, manchmal sogar originell. Doch ohne eigene Auseinandersetzung bleibt es fremdes Wissen.
Deshalb ist die zentrale Frage im Umgang mit KI nicht: Was kann sie?, sondern: Was tue ich mit dem, was sie liefert? Lasse ich mich inspirieren, vergleiche ich verschiedene Perspektiven, entwickle ich eigene Fragen weiter – oder übernehme ich das Resultat als fertige Lösung?
Wie sinnvoller KI-Einsatz im Unterricht aussehen kann
Sinnvoll eingesetzt, kann KI Lernprozesse nicht nur unterstützen, sondern gezielt vertiefen. Dafür braucht es aber mehr als nur den Zugang zu einem Tool – es braucht didaktische Konzepte, pädagogische Begleitung und kritische Reflexion. Becker bietet hierzu in dem FAZ-Artikel einige konkrete Hinweise, die sich in der Praxis umsetzen lassen.
Ein wirksamer Ansatz ist der reflektierte Einsatz im Unterricht. Wenn Lernende beispielsweise eine Klassenarbeit mit Unterstützung von ChatGPT verfassen dürfen, um im Anschluss die Struktur, den Inhalt oder die Qualität gemeinsam zu analysieren, fördert das nicht nur das fachliche Lernen, sondern auch die Metakognition – also das Nachdenken über das eigene Denken. Die KI liefert so nicht die Lösung, sondern wird zum Anlass für Reflexion.
Wichtig ist dabei, die KI als Lernpartnerin und nicht als Ersatz zu begreifen. Sie kann beim Sammeln von Ideen helfen, Argumente vorschlagen oder Diskussionsimpulse liefern. Im Unterricht bedeutet das: nicht die Vorschläge übernehmen, sondern mit ihnen arbeiten. Lehrpersonen können mit der Klasse gemeinsam Varianten vergleichen, Stärken und Schwächen analysieren und so den kritischen Umgang mit Texten und Informationen schulen.
Ein weiteres Feld mit grossem Potenzial sind automatisierte Feedback-Tools. Diese geben Schülerinnen und Schülern unmittelbare Rückmeldung zu sprachlichen, strukturellen oder inhaltlichen Aspekten ihrer Texte. Der Vorteil: Die Rückmeldung erfolgt sofort, individuell und unabhängig von der Verfügbarkeit einer Lehrperson. So kann der Schreibprozess gezielt gefördert werden – auch ausserhalb des Unterrichts.
Noch einen Schritt weiter gehen intelligente tutorielle Systeme (ITS), also KI-Tutoren. Diese Systeme passen Aufgaben und Inhalte an den individuellen Lernstand an, berücksichtigen Unterschiede im Vorwissen, in der Sprache oder im Lerntempo und fördern gezielt Basiskompetenzen. Gerade in heterogenen Klassen können sie helfen, die Lernenden differenziert zu fördern und alle auf ein höheres Kompetenzniveau zu bringen.
Entscheidend ist dabei die Rolle der Lehrperson. Sie bleibt aktive Gestalterin des Lernprozesses. Lehrkräfte sollten nicht nur KI-Tools auswählen, sondern gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern deren Einsatz reflektieren und weiterentwickeln. Das verlangt auch von den Lehrpersonen selbst Bereitschaft zur Weiterbildung und Offenheit für neue pädagogische Wege.
Nicht zuletzt braucht es eine verlässliche technische Ausstattung. KI kann nur dann sinnvoll in den Unterricht integriert werden, wenn die Infrastruktur stabil, der Zugriff für alle gewährleistet ist und alles selbstverständlich auch datenschutzkonform betrieben wird. Auch die Integration in die Schulentwicklung ist wichtig: Der Einsatz von KI darf kein Einzelprojekt bleiben, sondern sollte eingebettet sein in eine pädagogisch fundierte Gesamtplanung.
Richtig eingesetzt, kann KI also mehr sein als ein technisches Hilfsmittel – sie kann zu einem Impulsgeber für Lernen, Denken und Diskutieren werden. Vorausgesetzt, ihr Output wird nicht einfach unkritisch übernommen, sondern bewusst gesteuert.
Ein persönliches Fazit
Macht KI Schülerinnen und Schüler dümmer? Sie kann – wenn man sie unreflektiert nutzt, sie unkommentiert werkeln lässt oder als Ersatz für Lernen begreift. Aber sie muss nicht. Richtig eingesetzt, kann KI das Lernen bereichern, differenzieren und vertiefen. Sie kann Impulse geben, Perspektiven eröffnen, individuelle Förderung ermöglichen.
Was es dazu braucht, ist eine Haltung: neugierig, kritisch, strukturiert. Wer die KI nutzt, um weiterzudenken, statt abzuwälzen, wird davon profitieren. Wer sie als Sparringpartner sieht, nicht als Problemlöser, entwickelt sich weiter. Es ist nicht die KI, die klüger oder dümmer macht – es ist unser Umgang mit ihr. Wir haben es selbst in der Hand.
Und vielleicht ist das die wichtigste Aufgabe unserer Zeit: zu verstehen, was Maschinen für uns tun können – und was wir selbst leisten müssen, um wirklich zu lernen.
Bildquelle
Thomas Webster (1800–1886): The Frown, Guildhall Art Gallery, London, Public Domain. Der dritte Junge von rechts trägt eine sog. Eselskappe, eine bis in das 19. Jahrhundert angewandte Bestrafung bzw. Demütigung für Schüler.
Disclaimer
Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet. Für die Recherche in den erwähnten Werken/Quellen und in meinen Notizen wurde NotebookLM von Google verwendet.
Topic
#Erwachsenenbildung