In einem kleinen Dorf lasse ich mich auf der Bank nieder. Kaum, dass ich sitze, kommt ein älterer Herr vorbei: “Womit kann man dir helfen?”, fragt er sofort. “Ach, ich brauche gerade nichts, danke.” “Aber einen Kaffee musst du mit mir trinken.” Ein paar Meter gehen wir zu seinem Haus. Dort wird schnell ein armenischer Kaffee bereitet und ein paar Aprikosen und Pralinen bereitgestellt. Ein wenig schwatzen, Kaffee trinken. Und nach einer halben Stunde ziehe ich beschenkt weiter.
Ich treffe hier immer wieder Tourist*innen aus dem Iran. Das ist nicht weit und sie dürfen visafrei einreisen. Ich erkenne sie meist daran, dass sie gut angezogen sind, kein Russisch und kaum englisch sprechen,
Die Frauen, sind offenbar froh, den Bekleidungs-Regeln ihres Heimatlandes entkommen zu sein, so kommt es mir vor: chick und fraulich gekleidet, sorgsam geschminkt, Nägel lackiert und offen. Und natürlich: ohne Kopftuch.
Ein Mann erzählt mir: “Das iranische Volk will Freundschaft mit allen. Aber die Regierung will es nicht.”
Der Iran als Reiseland würde mich auch mal sehr interessieren. Aber jetzt gerade nicht.
Tief unten in der Schlucht ist eine alte Einsiedelei. Sie hat schon bessere Tage gesehen. Etliche Mönche mögen hier gelebt haben. Platz ist genug.
Dann war sie verlassen. Jetzt lebt ein einsamer Mönch dort unten: Vater Hakow. Doch bevor ich ihn treffe, sehe ich am Eingang Arman. Er gehört zu einer Gruppe Männer, die gerade zu Reparatur-Arbeiten hier sind. An ihm komme ich nicht vorbei. “Komm Jungchen, iss erstmal was. Und sto gram (100 g) vom Selbstgebrannten müssen auch sein.” Ich kann ihn auf 50 Gramm von dem leckeren Wodka runterhandeln (will ja noch weiter) und es wird eine sehr nette Begegnung vor dem Eingangstor.
Drinnen treffe ich Vater Hakow, der dabei ist, sein Holz für den Winter zu machen. Der Winter, sagt er, sei die beste Zeit. Da kommt niemand hierher. Und, frage ich, ist es manchmal nicht auch schwer, wenn es dunkel und kalt ist, und er allein sei. “Allein bin ich nie. Ich bin mit Gott. Das ist besser als unter tausend Menschen.”
Im Alter von 16 bis 26 habe ich rund 60.000 km per Anhalter zurückgelegt: vor allem auf dem Balkan, in Polen und in Ostdeutschland. Die vielen Wochen unterwegs – quasi in allen Ferien und oft an verlängerten Wochenenden – betrachte ich noch immer als meine nachhaltigste Bildungserfahrung.
Wenn ich jetzt in Armenien unterwegs bin – oft auf Strecken, auf denen es kaum Busverkehr gibt – und mich darauf verlasse, dass mich jemand mitnimmt, dann kommt all das sofort wieder. Die Überzeugung, dass die, die anhalten genau die richtigen sind, zum Beispiel. Mag es (wie heute) der blitzneue E-SUV von VW sein, der 42 Jahre alte Shiguli, der Uralt-Laster, bei dem ich auf der Ladefläche sitze, der Lada, der mit 120 über die Schlaglöcher brettert, oder der Kleinwagen, in dem schon vier sitzen und ich mit meinem Rucksack nur noch ziemlich gequetscht Platz habe.
Was sich auch sofort wieder einstellt: Die Freude an der Vielfalt der Menschen in den fremden Autos: Schweigsame, von denen ich kein Wort höre. Gesprächige, die mir ihre halbe Lebensgeschichte erzählen. Touristen, die für 2 Tage aus Moskau geflogen kommen und kaum älter als 25 sein können. Der alte Mann, der 120 km fährt, um nach seinen Bienen auf dem Bergpass zu schauen. Menschen, die viel über mich und mein Land wissen wollen. Und solche, die keine einzige Frage stellen.
Jedenfalls liebe ich es. Zumal ich hier zumindest bislang noch nicht länger als maximal 5 min warten musste (und das war eher eine Ausnahme).