Libertas

„Freiheit, nicht die Tochter, sondern die Mutter der Ordnung“ – Proudhon

WAS DA FREI, DAS IST MEIN TRAUM.

[Deutsch von Freiligrath.]

Was da frei, das ist mein Traum, Eine Barke, flutgewiegt, Die sich Bahn macht durch den Schaum, Wie ein Pfeil zum Ziele fliegt! Dann ein Hirsch im grünen Wald; O, wie wirft er sein Geweih! Tausend Bäche, klar und kalt – Alles, Alles was da frei!

Dann ein Aar, der trotzig kreist Um der schroffsten Berge Zug; Ich erblickt’ ihn jüngst im Geist, Hörte rauschen seinen Flug. Einen Strom schritt ich hinan, Dicht umweht von Busch und Baum, Ohne Segel, ohne Kahn – Was da frei, das ist mein Traum!

Ein beglücktes Kind im Hain, Das mit Blumen spielt und Reh’n; Indier, die bei Sternenschein Durch des Urwalds Dickicht geh’n; Jauchzend Volk auf Siegesstätten, Bogenschütz’ am grünen Baum: – O, mein Herz liegt wund in Ketten, Und was frei, das ist mein Traum!

– Felicia Hemans.

(Libertas 2, Samstag, 7. April 1888, S. 1.)

Anmerkungen

Felicia Hemans (1793–1835) war eine britische Dichterin. Die Übersetzung stammt vom deutschen Lyriker und Übersetzer Ferdinand Freiligrath (1810–1876).

Kein goldner Mittelweg.

[Gramont im L'Intransigeant.]

Ich kann die Leute verstehen, die sagen: „Die Freiheit ist eine Pest. Den Menschen Freiheit zu verleihen heisst, die Bestie loszulassen. Wir wollen die Freiheit nicht! Nieder mit dieser Torheit! Die Völker müssen regiert, geführt, geleitet, unterworfen, eingeschränkt und am Gängelband erhalten werden. Gibst du die Zügel frei, so ist Alles verloren. Es gibt nur ein System: die Autorität, – absolute, unbestrittene, unkontrollierte Autorität. Das Volk besteht aus Kindern, die unter Vormundschaft stehen müssen. Darin allein ist seine Sicherheit; nur so kann es leben und gedeihen, vor inneren wie äusseren Gefahren bewahrt und gegen seine Feinde wie gegen sich selbst geschützt werden.“

Eine derartige Sprache hat zweierlei Vorzüge. Sie ist deutlich und sie ist logisch. Die Theorie, die sie ausdrückt, ist eine fassbare Theorie. Ich halte sie nicht für eine gute; ich bekenne mich zu einer Ansicht, die ihr diametral entgegengesetzt ist. Aber ich kann es ganz gut verstehen, wie die von mir angeführten Ideen gewissen Intelligenzen als die richtigen erscheinen. Unglücklicherweise werden politische Wahrheiten nicht mit derselben Beweisführung erhärtet wie z. B. geometrische Wahrheiten; und obgleich es keinem Menschen je einfallen würde, zu behaupten, dass die Summe der Winkel eines Dreiecks nicht gleich zwei rechten Winkeln sei, so würde er doch stundenlang um die Frage herumstreiten, ob die Autorität der Freiheit vorzuziehen sei oder umgekehrt.

Diese beiden Menschenklassen, – die, welche die Freiheit wollen und die, welche auf der Autorität bestehen, – können sich nicht gleichmässig im Rechte befinden; ist die eine im Recht, so muss die andere notwendigerweise im Unrecht sein. Aber es muss zugegeben werden, dass sich beide gleichmässig mit sich selber in Übereinstimmung befinden und von ihren Voraussetzungen, von ihren Vordersätzen logische Schlüsse ziehen.

Was mir wunderlich vorkommt, ist, dass es jene Klasse gibt, welche manchmal als die „glückliche Mitte“ bezeichnet wird und welche ich, so es gefällt, als die Klasse bezeichne, die man in Bausch und Bogen betrachten muss; das sind die Leute, welche die sich ausschliessenden Gegensätze der Freiheit und Autorität zu versöhnen und ein System zu schaffen hoffen, indem sie von jedem ein bisschen nehmen und zusammenschmieden. Als ob solches Zusammenschmieden möglich wäre, als ob widerstrebende Teile zusammenhalten könnten!

Der Mann, der sagt: „Ich bin für Freiheit, aber nicht für Zügellosigkeit“, oder wieder: „Ich bin für Autorität, aber nicht für Absolutismus!“ merkt es nicht, dass er eine so phantastische Unterscheidung macht, dass es unmöglich ist, in Wirklichkeit danach zu handeln.

In der Tat, wie, durch welch feines Verfahren kann die Stelle, der Punkt, die Grenzlinie bestimmt werden, wo die Freiheit aufhört und die Zügellosigkeit beginnt? Durch Zuhilfenahme welches unfehlbaren Zeichens kann es festgestellt werden, ob eine gegebene Handlung legitim, autoritär oder fluchwürdig arbiträr ist?

Nehmen wir ein Beispiel, und um die grösstmögliche Unparteilichkeit zu bewahren, wollen wir eins ausserhalb des Gebiets der Politik nehmen. Sie anerkennen, sagen Sie, die Freiheit der Feder, aber Sie wünschen, mit den Nachteilen derselben aufzuräumen? Sie hat einige, sie muss einige haben, weil sie Menschen erteilt ist, die wesentlich schwache und unvollkommene Geschöpfe sind. Einer der Nachteile besteht darin, dass sie die Publikation von Werken erlaubt, in welchen der Wohlanständigkeit kein Respekt erzeigt wird. Was wollen Sie nun tun?

Sie würden die Bücher proskribieren, die nach Ihrer Meinung die öffentliche Moral gefährden? So sei es. Woran werden Sie sie erkennen? Wieweit wird sich Ihre Toleranz erstrecken? Wo wird sie aufhören? An welchem Punkte der Gemeinheit werden Sie Ihre Anklage erheben? Wie werden Sie ein künstlerisches oder wissenschaftliches Werk unterscheiden von einer einfachen schmutzigen Spekulation? Durch seinen Stil? Und wer soll dann darüber entscheiden? Ausserdem, Alles ist relativ. Ein Buch, das in gewissen Händen gefährlich ist, ist gar nicht so in andern. Es gibt medizinische Bücher, welche es sehr unklug wäre, in die Hände junger Mädchen zu geben. Nichtsdestoweniger ist es notwendig, dass sie geschrieben und in freien Umlauf gesetzt werden.

Wenn wir uns auf diesen Weg begeben, wohin wird das uns führen? Dahin, -zur gerichtlichen Verfolgung von „Madame Bovary“, ein Meisterwerk, völlig keusch in Form und tief streng in den Prinzipien. Tatsache ist, dass es kein Kriterium, kein Mittel gibt, um die Grenzlinie zwischen Freiheit und Zügellosigkeit zu bestimmen.

Dass die Freiheit missbraucht werden kann, ist sehr wahr. Die Autorität hat auch ihre Missbräuche. Aber ist nicht die Freiheit mit allen ihren Nachteilen von grösserem Wert für uns als die Autorität mit allen ihren Nachteilen? Darin besteht die ganze Frage. Die Erwartung zu hegen, die Autorität mit der Freiheit so zu verschmelzen, dass wir nur die Vorteile beider ohne die Nachteile beider haben sollen, ist trotz seines praktischen Anscheins das Chimärischste aller Utopien.

Eine Wahl muss getroffen, Kompromisse und Unterscheidungen müssen beiseite gelegt und Stellung muss genommen werden auf der einen oder andern Seite, auf der Seite der absoluten Autorität oder der der schrankenlosen Freiheit.

(Libertas 2, Samstag, 7. April 1888, S. 1.)

Anmerkungen

Louis de Gramont (1854–1912) war ein französischer Journalist und Dramatiker, ab 1890 war er dann sogar Redakteur der Tageszeitung L'Intransigeant.

Eine Skizze von Pyat.

[Von Francis Enne.]

Félix Pyat gehört mit zu den glänzendsten literarischen Sternen des Jahrhunderts. Wem wäre sein berühmter Name nicht geläufig in Frankreich? Ein Name, der längst schon in der zeitgenössischen Literatur eine Stelle behauptet neben den Namen der grössten Meister aller Schulen, wie Victor Hugo, Lamartine, der ältere Dumas, Musset, Balzac, Eugène Sue, Frédéric Soulié und andere, denn die Fruchtbarkeit der ganzen auf den Sturz des Kaiserreichs folgenden Epoche ist erstaunlich.

Der Politiker? Wir lassen ihn heute unberücksichtigt, um uns ausschliesslich dem Schriftsteller hinzugeben, obwohl Félix Pyat kein Buch geschrieben hat, in dem er es sich nicht zur Aufgabe gemacht hätte, durch lebendige Ausmalung der schreienden sozialen Ungleichheiten und des Volkselends der Revolution das Wort zu reden. Ausserdem glaubt Pyat nicht an die Kunst um der Kunst willen, sondern hält es als heilige Pflicht des Schriftstellers wie des Künstlers, zu belehren, während er entzückt und unterhält.

Wir wollen hier flüchtig das voll ausgefüllte Leben Félix Pyats skizzieren. Er wurde geboren zu Vierzon; sein Vater, ein bedeutender Advokat, war ein Legitimist, seine Mutter, eine Demokratin. Den Lehren seiner Mutter folgend, begann er in seiner Studentenzeit gegen Karl X. zu agitieren und beteiligte sich an allen Kundgebungen der Schulen; 1830 erhielt er sein Advokatendiplom. Unmittelbar darauf widmete er sich der Schriftstellerei und der Politik.

Er begann am „Figaro“, unter Mitwirkung seines Landsmannes Latouche; dann gründete er das „Charivari“ unter Mitwirkung von Altaroche und Daumier. Er schrieb eine berühmte Seite, die „Filles de Séjan“, als Vorwort für ein Buch über Barnave von dem grossen Janin (Jules); nachdem letzterer die bewusste Seite unterzeichnet hatte, zankte er mit ihm, welchem Umstand wir Pyats wunderbares Pamphlet: „J. M. Chénier und der Prinz der Kritiker“ verdanken. Die Liste der Journale, Zeitschriften und Sammlungen, mit welchen er in Verbindung gestanden, ist eine lange. Wir nennen unter den bedeutenderen die „Revue de Paris“, den „Artiste“, die „Revue Démocratique“; er war der Leiter der „Revue Brittanique“; lange Zeit stand er dem Feuilleton des „Siècle“ und des „National“ vor, und überall bewährte er sich als glänzender Polemiker, wie scharfer Kritiker in Kunst und Politik. Folglich, wie viele Verfolgungen, wie viele Monate im Gefängnis!

Félix Pyat war einer der Gründer der Gesellschaft der Schriftsteller und der Gesellschaft der Dramatiker. Seine dramatischen Werke sind von nicht geringerer Bedeutung. Sein erstes Stück, „Eine Revolution aus vergangener Zeit“, gespickt mit gegen Louis Philippe gerichteten politischen Anspielungen, kam im Odéon Theater zur Aufführung. Der kleine Thiers, des Königs Pedant, verbot das Stück natürlich. Félix Pyat vergalt es mit einem in der „Revue des Deux Mondes“ veröffentlichten Pamphlet. „Eine Verschwörung aus vergangener Zeit“, ein anderes verbotenes Drama; und „Arabella“, worin er die Hinrichtung des Prinzen von Condé zu St. Leu auf die Bühne brachte. Dann schuf er „Der Brigand und der Philosoph“, „Ango, der Matrose“, „Cedric, der Norweger“ und „Die beiden Schlösser“, alles sozialistische Stücke.

Aber seine beiden Meisterwerke sind „Diogenes“ und „Der Lumpensammler von Paris“, welches letztere er vor kurzem in eine Novelle umgearbeitet hat. Dieser grosse Schriftsteller steht im Ruf, Gautiers Kreis „Jung Frankreich“ angehört zu haben zur Zeit der Geburt der Romantik; das ist beinahe richtig. Tatsache ist, dass er mit allen jenen Schriftstellern assoziiert war, welche der Reihe nach zu Meistern wurden, einige ohne die Politik auszuschliessen, und einige, indem sie die Politik verachteten, – die Sues, die Hugos oder die Gautiers, doch Pyat blieb stets seinen feurig revolutionären Überzeugungen treu, während er sich mit demselben fieberhaften Eifer der Schriftstellerei und der Kunst ergab. Dies beweist sein Wirken deutlich, welches ihm von seinen Freunden denn auch die Bezeichnung des „demokratischen Höflings“ einbrachte. Die folgende Anekdote verrät einen charakteristischen Zug. Nach dem Triumph des „Diogenes“ erhielt Pyat in Sainte Pélagie (wo er wegen eines Pressvergehens eine Strafe abbüsste) folgenden Brief von Victor Hugo:

MEIN LIEBER GEFANGENER! Ich schreibe Ihnen mit einer noch vom Applaus zitternden Hand. Sie haben besser als ich die Königlichkeit des Genius und die Göttlichkeit der Liebe bewiesen. VICTOR HUGO.

Dies war Pyats Antwort:

MEIN LIEBER MEISTER! Nicht ein Deist und ganz gewiss nicht ein Royalist, aber Ihr ergebenster und dankbarster FÉLIX PYAT.

Dieser Satz offenbart den ganzen Menschen, in der Politik wie in der Schriftstellerei, selbst in seiner knappen, raschen Form, eine Form, die er stets mit unendlichem Glück anwendet, sei es in Abhandlungen über hoch-philosophische oder politische Gegenstände, im Drama oder im Roman; denn das Charakteristische dieses lebendigen Stils ist seine Kürze, seine erstaunliche Genauigkeit, und nach einem erbarmungslosen Abstreifen aller überflüssigen Wörter, ohne aber der das Bild darstellenden Figur Eintrag zu tun, verfehlt er nie seinen Eindruck auf den Leser oder Zuhörer. Wird Pyat eine Schule gründen? Ich bezweifle es. Er würde seine Schüler entmutigen.

Seine private Persönlichkeit sollte auch besprochen werden, denn er gehört jener Klasse von Zauberern an, welche mit dem Vordringen unserer brutalen Zivilisation zu verschwinden drohen. Dieser alte Mann ist noch fest wie ein Mann von dreissig; er ist lebhaft, aufgeweckt, heiter und sehr freundlich; seine beiden schwarzen Augen erleuchten mit eigentümlichem Glanz den mit zottigem weissen Haar reich bedeckten Kopf; sein ebenfalls weisser Bart liegt wie ein Fächer über seine Brust ausgebreitet, und seine Augen haben diese auffallende Eigentümlichkeit, dass sie, wie diejenigen grosser Katzen, jetzt von Zorn blitzen, wenn im Gespräch Pyat aufgeregt wird, und dann auch wieder von Freundlichkeit strahlen. Seine Stimme ist harmonisch und fesselnd; seine Sprache ist von seltener Beredsamkeit, ob er nun eine Rede hält oder seinen Freunden einfach die Geschichte seines Lebens, seiner Abenteuer, oder von den Männern, die er hat kennengelernt, erzählt; denn wenn er ein grosser Redner ist, so ist er auch ein wunderbarer Erzähler.

Ich habe versucht, einen getreuen Umriss dieses Mannes zu machen, und ich ersuche den Verfasser des „Lumpensammlers von Paris“, einem Bewunderer etwas zu Gute zu halten; überhaupt ist er sehr nachsichtig, eine andere seiner Eigenschaften, die ich beinahe zu erwähnen vergass.

(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 8.)

Der „Eine Mann“.

Eine typische Persönlichkeit, welche in den Augen vieler Menschen die Unausführbarkeit anarchistischer Ideen über jeden Zweifel demonstriert, ist der gefürchtete „eine Mann,” welcher sich beharrlich weigert, das zu tun, was die Anderen beschliessen: Wenn ein gemeinsames Picknick veranstaltet wird, so macht der „eine Mann“ nicht mit; wenn der vierte Juli gefeiert werden soll, so feiert er den fünften; wenn eine gemeinsame Landpartie gemacht wird, so weigert er sich, seinen Anteil an den Kosten zu tragen; wenn die Anderen ihre Entwicklung zu Engeln möglichst zu beschleunigen suchen, knöpft er seine teuflische Hülle nur um so fester zu, um ein Hinausschlüpfen unmöglich zu machen; dadurch verhindert er die ganze Menschheit, den Zustand zu erreichen, in welchem Gesetze nicht mehr nötig sind.

Es ist sonderbar, was für eine zähmende Gewalt die Gesetze auf den „einen Mann“ ausüben: Ohne Gesetze juckt es ihn beständig in den Fingern, um seinem Nachbarn Steine durch die Fensterscheiben zu werfen; sein Wohnhaus will er immer quer über die Strasse bauen; Eisenbahnen sind ihm so verhasst, dass er immerfort Dynamitbomben unter die Schienen legt; selbst die unbehinderte Passage auf den Strassen ärgert ihn, darum schaufelt er niemals den Schnee vor seiner Haustür fort. Weder die Furcht vor Prügel, noch vor Lynchen hält ihn ab, diese ewigen Schikanen gegen seine Mitmenschen auszuüben. Das Alles wird aber sofort anders, wenn Gesetze gemacht werden. Vor ihnen hat der „eine Mann“ einen übernatürlichen Respekt. Während tausend Lyncher mit einer um seinen Hals gelegten, über einen Baumast gezogenen Schlinge nur ein verächtliches Hohnlachen bei ihm bewirkt hätten, wird er zahm, reuig und zerknirscht, wenn der Arm des Gesetzes in Gestalt eines Konstablers sich nach ihm ausstreckt, wenn Advokaten, Richter und Geschworene die feierlichen Zeremonien eines gesetzlichen Prozessverfahrens vor seinen Augen aufführen. Sollte er es aber bis zu dem vorschriftsmässigen Galgen bringen, so bewirken die heiligen Schauer dieses erhabenen Instrumentes eine solche Umwandlung seines inneren Menschen, dass er eine gute Aussicht auf hohe gesetzliche Ehrenstellen im Jenseits mit auf den Weg nimmt.

Die Menschheit hat daher begründete Ursache, den Gesetzen jene abgöttische Verehrung zu erweisen, welche (von freiheitsschwärmenden Republikanern ausgeübt) dem profanen Blick ungläubiger Anarchisten als der reinste Fetischdienst erscheint: Was nützten uns ohne Gesetze alle Errungenschaften der Wissenschaft und Industrie? Wenn die Bewohner einer Stadt elektrische Strassenbeleuchtung einrichten wollten, so würde der „eine Mann“ unfehlbar die Leitungsdrähte durchschneiden. Der elektrische Feueralarm wäre seinetwegen auch nicht möglich; denn er würde den Apparat fortwährend in Bewegung setzen, sodass nur Verwirrung dadurch entstehen könnte. Selbst den ungestörten Genuss älterer Einrichtungen könnten wir dieses „einen Mannes“ wegen ohne Gesetze nicht länger haben. Die Gasbeleuchtung müssten wir aufgeben; denn der „eine Mann“ würde die Leitungsröhren anbohren. Wasserleitung wäre unmöglich; denn er würde immer da, wo eine Wasserleitung liegt, seinen Keller graben wollen. Wasserklosetts müssten abgeschafft werden; denn der „eine Mann“ würde die Ableitungsröhren verstopfen.

Am unangenehmsten wäre der Zustand für die Landspekulanten; denn wo immer sie einen Bauplatz, eine Farm oder ein Stück Waldland verkaufen wollten, müssten sie befürchten, dass gerade dort der „eine Mann“ seine Hütte aufschlagen, seine Viehweide oder sein Kartoffelfeld einrichten wollte. So haben wir denn sämtlich Ursache, den Gesetzen wegen ihrer zähmenden Einwirkung auf den „einen Mann“ dankbar zu sein; wir können unser Eigentum in Ruhe geniessen und Anteil an den fortschrittlichen Errungenschaften nehmen. Diejenigen aber, welche das Schicksal nicht mit den nötigen Mitteln ausgerüstet hat, um sich Zutritt zu solchen Dingen zu verschaffen, sehen sich durch das Gesetz wenigstens der Versuchung überhoben, die Rolle dieses „einen Mannes“ zu spielen, wodurch sie hier den Anschein guter Bürger auf sich nehmen müssten und im Jenseits ihren Platz unter den ewig Verdammten angewiesen erhalten würden.

Wie die Menschen, haben auch die Engel Ursache, dem Gesetz dankbar zu sein; denn wenn es dem „einen Mann“ gelingen sollte, in den Himmel zu kommen, ohne vorher gezähmt worden zu sein, würde er das ewige Halleluja durch Absingen von Gassenhauern, rein unmöglich machen.

Doch die Sache kann auch ganz anders aufgefasst werden, sodass nur der „eine Mann“ selber Ursache hätte, dem Gesetz dankbar zu sein; seine Lust, Andere zu ärgern und zu tyrannisieren, kann er mithilfe des Gesetzes weit besser befriedigen, als wenn er nur auf seine eigenen Kräfte angewiesen wäre. Wenn es sich, wie anfangs erwähnt, um Picknicks, Vierte-Juli-Feiern, Landpartien, etc., handelt, kann er ohne Gesetze die Anderen nur dadurch ärgern, dass er nicht mitmacht; wenn er sich aber auf das Gesetz stützen darf, kann er, wie im polnischen Reichstag, durch sein Veto auch die Anderen verhindern, das zu tun, was er nicht mag. Während er privat seine Mitmenschen nur durch Einwerfen der Fenster, Versperren der Strasse, Behinderung der Eisenbahnfahrt plagen könnte, darf er sich mithilfe des Gesetzes die Häuser, Strassen und Eisenbahnen aneignen und dadurch die Mitmenschen sich tributpflichtig machen. Bei dem erstgenannten kleineren Vergnügen müsste er immerhin die Gefahr des Durchgeprügelt- oder Gelynchtwerdens mit in den Kauf nehmen; aber bei dem letztgenannten grösseren Vergnügen überhebt ihn das Gesetz jeder Gefahr, dagegen dürfen sich die Mitmenschen nicht mehr ohne Lebensgefahr den Quälereien des „einen Mannes“ auf ländlich sittliche Weise widersetzen.

Es ist daher nicht zu verwundern, dass heutzutage der „eine Mann“ als der eifrigste Verteidiger von Gesetz und Ordnung auftritt und seine Mitmenschen in dem Glauben zu bestärken sucht, dass sie ohne diese Dinge gar nicht leben könnten. Das Durchschneiden von Leitungsdrähten, Anbohren von Gasröhren, Behindern der Wasserleitung, Verstopfen von Abzugskanälen sind doch nur armselige Vergnügen, wenn man sich auf alle diese Dinge ein Besitzrecht aneignen und dann seinen Mitmenschen die Alternative stellen kann, entweder zu bezahlen oder Nichts zu bekommen. Vom Standpunkte des „einen Mannes“ lässt sich daher die zärtliche Fürsorge für die Gesetze schon erklären, vom Standpunkte der Anderen aber nicht.

PAUL BERWIG.

(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 8.)

Kopf und Herz.

Dass das Gefühl in Sachen des Verstandes nicht selten eine entscheidende Stimme hat, dem Denkenden und Fühlenden oft unbewusst den Ausschlag gibt in Fragen, die lange Zeit das Denkvermögen in Anspruch genommen haben, ist eine bekannte Tatsache. Wie oft mag es nicht schon den Stab über den Anarchismus gebrochen haben, selbst da, wo die kolossale Begriffsverwirrung, die der Name nun einmal hervorgerufen hat, schon einiger Klarheit gewichen ist, und sogar noch da, wo dem Prinzip der unbedingten individuellen Freiheit auf politischem und ökonomischem Gebiete bereits mit vielem Verständnis entgegengekommen wird.

Auch geht es nicht nur den Verstand an, denn mehr noch als die Religion – was man so darunter versteht, der man so grosse Konzessionen von der Gefühlsseite unserer Natur machen zu müssen wähnt, geht dieses Prinzip, in seiner praktischen Anwendung, das Gefühl an. Den Verstand brauchen wir eigentlich nur, um das Gebiet gründlich zu erforschen. Haben wir uns dann über die klimatische Beschaffenheit und ausreichenden materiellen Lebensbedingungen beruhigt, tritt das Gefühl vor mit der Frage: „Möchtest du in dem neuen Lande deine Heimat aufschlagen, wirst du dich darin auch gemütlich wohlfühlen können?“ Dass die Antwort auf diese Frage für die Annahme oder Verwerfung des Prinzips von ganz bedeutender Wichtigkeit ist, ist am Ende natürlich; wie kommt es aber nur, dass dieselbe, wie es scheint, so häufig verneinend ausfällt?

Doch nur daher, dass die Inkrafttretung dieses Prinzips – die theoretische Annahme ist das Wenigste – eine völlige Revolution unseres Fühlens, mehr noch unseres Handelns bedingt. Die süssen Gewohnheiten, die Gewohnheit der Unselbstständigkeit, die Gewohnheit des Gehorsams, die Gewohnheit des geduldigen Gehorchens, dass allen diesen muss entsagt werden, darüber kommen wir im Geiste nicht hinweg, praktisch werden sie die grössten Schwierigkeiten verursachen. Aber auch die Gewohnheit der Hingebung, der Nächstenliebe, das süsse Gefühl der Zusammengehörigkeit, das nirgends so gut als in der Abhängigkeit zu gedeihen verspricht, auch diese Gefühle der reinen Menschlichkeit fürchten wir zu verlieren, indem wir zur vollen Freiheit wie sie die Anarchisten verstehen, fortschreiten und in welcher der Wahlspruch zu gelten scheint: „Jeder für sich und der Teufel hole den Letzten.“

Aber, dass der Teufel den Letzten nicht holen wird, dafür hat schon die Natur gesorgt, die das Liebebedürfnis der Menschen zu einem ihrer Gesetze gemacht hat, so stark, dass selbst die der Herrschlust entsprungenen menschlichen Gesetze ihm nichts anhaben konnten. Die Menschen werden sich immer lieben, immer mitfühlend sein, und wer schon einmal mit diesem neuen Menschenschlag, der die individuelle Freiheit auf sein Panier geschrieben hat, in nähere Berührung gekommen ist, wird wissen, dass auch sie es können und dass alle der aufopfernden Hingebung gegen ihre Nächsten nicht unfähig sind.

Es ist gerade, weil sie die Menschen lieben, die individuellen Menschen, nicht die Menschheit als Abstraktum, dass sie Individualisten sind. Sie stellen aber höhere Ansprüche an ihre Liebe; sie wollen dieselbe rein erhalten von eigennütziger Beimischung, sie wollen ihre Selbstachtung wahren, indem sie den Gegenstand ihrer Liebe auch als freies, selbstherrliches Wesen achten zu können verlangen. Es mag sein, dass es uns diesem höheren Ideal gegenüber fröstelt, weil wir es noch nicht ganz begriffen haben und noch kein Zutrauen zu ihm fassen können. Alles Fremde lässt uns nicht nur kalt, es fröstelt uns an. Wir können nicht unsere ganze Denk- und Fühlweise aus dem Boden, in dem sie gekeimt und gewachsen, herausreissen und gleich wieder auf neuem Felde feste Wurzeln fassen. Die Heimat ist uns mit allen ihren Mängeln ans Herz gewachsen. Verpflanze den Eingeborenen einer trostlosen Einöde in ein sonniges, blühendes Tal und die Sonne wird ihm zuerst kalt, die Blumen und die Vögel inhaltslos erscheinen; er wird Heimweh nach seinen kahlen Triften haben. Kehrt er aber nach Jahren zurück, ist ihm die heimatliche Einöde eben eine Einöde, und die blumige Aue wird nicht nur seinem Verstande, sondern auch seinem Herzen teuer geworden sein.

Es scheint auch dem Christen, dem der Boden seines alten Glaubens unter den Füssen zu wanken beginnt, Alles in einem Stadium der Auflösung begriffen zu sein. Sein Zweifel vergiftet ihm alle Freuden des Lebens. Er ist mit sich und der Welt zerfallen. Er fragt sich besorgt: Was wird aus meiner Nächstenliebe, meiner Liebe zum Guten und Schönen, wenn ich keinen Glauben mehr habe? Hat das Dasein dann noch überhaupt irgendwelchen Wert? Hat er sich aber erst einmal zur völligen Klarheit durchgerungen, können keinerlei Zweifel mehr seinen Unglauben erschüttern, dann kommt ihm auch der innere Frieden, die Freude am Dasein wieder. Er findet, dass sein und seiner ungläubigen Mitmenschen Herzen noch so warm schlagen, wie sie als Christenherzen geschlagen haben, und er fasst neuen Mut.

In gleicher Weise bricht es sich nicht so leicht mit den fleisch- und blutgewordenen Ansichten über Staat und Gesellschaft; zumal wenn die neue Anschauung auch gar zu radikal an Allem rüttelt und nichts bestehen lassen will, was ehedem für heilig gegolten hatte. Auch Ketten brechen nicht, ohne Wunden zu hinterlassen, und das grosse Recht der Individualität an Alles, was ihr nötig ist, um Alles zu werden, was sie werden kann, und die Notwendigkeit mit „jeder Autorität zu brechen, um dieses Recht zu erobern,“ stellt solch strenge Anforderungen an das Herz, ja es scheint das Knüpfen neuer Herzensbanden von vornherein zur Unmöglichkeit zu machen. Aufgrund der alten allerdings; glaubt man aber, dass in der neuen Gesellschaftsordnung das Herz leer ausgehen wird, dass alle Gemütlichkeit, aller Gemeinsinn, alle Zärtlichkeit, alle Hingebung aus der Welt verschwinden und jede Regung des Herzens wenigstens nur eine flüchtige und vorübergehende sein wird, so verkennt man die menschliche Natur so sehr wie die gläubigen Christen sie verkennen, die von dem Verfall des Christentums den gänzlichen moralischen Verfall der Menschheit befürchten, und wie jene sie verkannten, die in der geistigen Entwicklung der Frau über den Horizont der Küche und Kinderstube hinaus, den Untergang alles Weiblichen erblickten.

So natürlich und erklärlich es also auch ist, dass wir uns selbst dann noch nicht für die neue Lehre erwärmen können, wenn bereits der Verstand seine Argumente gegen dieselbe erschöpft hat, so unwürdig ist es aber eines wirklich denkenden Menschen. Der ist kein echter Freund der Wahrheit und des Rechts, der ihnen nicht unbedingtes Vertrauen entgegenbringt, das Vertrauen, dass sie sich nie und nimmer an der menschlichen Natur versündigen können; tun sie es, so sind sie eben nicht Wahrheit und Recht und wir müssen anderweitig nach ihnen suchen.

Und was ist denn einfacher, als dass in einem Zustande der Freiheit, wo des Menschen Natur dessen einziger Gebieter ist, die Bedürfnisse eben dieser Natur, und zumal die Herzensbedürfnisse, sich leichter werden befriedigen lassen, als in irgendeinem anderen Zustande? Drum frisch darauf los, Menschenherz, du ungestümes, mache deine Ansprüche geltend. Plädiere deine eigene Sache.

E.H.S.

(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 5 und 8.)

Beispiele beklagenswerter Langlebigkeit.

Kaiser Wilhelm ist im Alter von einundneunzig Jahren gestorben. Das seinige war ein langes Leben, und das ist das Schlimmste davon. Viel kann man einem Tyrannen verzeihen, der anständig genug ist, jung zu sterben. Aber des Gedächtnisses dessen, der so die Pein ausdehnt und verstärkt, kann man nicht mit Milde gedenken. Wie Brick Pomeroy bemerkt, gibt es so etwas wie genug. Die einundneunzig Jahre eines solchen Menschen wie Wilhelm waren für Deutschland und die Welt viel zu viel. Aber es sind nicht nur die Könige, die zu lange leben. Dieses schreckliche Geschick befällt manchmal die Dichter. Unter andern hat es Walt Whitman erreicht. Dass er lange genug leben sollte, um sein „barbarisches Gejohle,“ wie er selbst seine Dichtungen bezeichnet, so weit zu zivilisieren, um es in Wehklage über Deutschlands Verlust seines „getreuen Hirten“ über die Hausdächer der Welt hinweg erschallen zu lassen, und dass er sich dazu auf das Verlangen einer kapitalistischen Zeitung der ungeziemenden Beihilfe des elektrischen Telegraphen bedienen sollte, und mutmasslich für Lohn, so das empörende Schauspiel der Prostitution ehemaliger männlicher Reinheit aufführend, ist in der Tat ein schmerzliches Beispiel überzähliger Jahre. Die Neigung von Volksdichtern, nachdem sie einmal über ihre Sangesjahre hinaus sind, ihre gebrochenen Stimmen zum Lob der Unterdrücker des Volkes zu erheben, den Flammen zu überliefern, was sie einst anbeteten und anzubeten, was sie einst den Flammen überlieferten, stimmt einen zur Versöhnung mit dem sonst unerträglichen Gedanken, dass es Shelley und Byron kaum vergönnt war, ihre Knabenzeit zu überleben. Der Fall Russell Lowells war ein fürchterlicher Schlag für diejenigen, welche nie müde werden, die „Big’low Papers“ zu lesen und „The Present Crisis“ auswendig kennen, aber die Bitterkeit ihres Kelches ist Honig neben dem Wermut, der allen Liebhabern von „Leaves of Grass“ zuteilgeworden sein muss, als sie das Klagelied des Barden der Demokratie über den Tod des Tyrannen Wilhelm lasen. Als einer der begeistertsten Bewunderer Walt Whitmans ersuche ich ihn dringendst, den Rest Schweigen sein zu lassen und nicht wieder das spukende Phantom uns vorzuführen, das er in den Tagen, da er noch schreiben konnte, beschrieb als eine „traurige, hastige, unerwachte Somnambule, im Dämmerlicht wandelnd.“

T.

(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 5.)

Anarchie, das Ding und der Namen.

Das Wörterbuch und die grosse Mehrzahl der Menschen definieren Anarchie als Ordnungslosigkeit und Bürgerkrieg.

In dem Anarchisten glaubt man ein Wesen ohne Geist und Gemüt zu erblicken, einen Sklaven der Leidenschaften und des Sinnenrauches, blind, rasend, verwegen, der es auf die grausame Zerstörung alles Dessen abgesehen hat, das seine Wege kreuzt oder seinem vernunftlosen Tun und Treiben widerspricht.

Libertas ist von friedliebenden, intelligenten, vernünftigen Menschen im Interesse der Ordnung, Freiheit und menschlichen Glückseligkeit und Zusammengehörigkeit gegründet, mit der Absicht und dem Entschluss, ihre Kräfte der Förderung und Verwirklichung der Sicherheit, Wohlfahrt und Harmonie in den menschlichen Angelegenheiten zu widmen.

Die Redakteure und Mitarbeiter von Libertas nennen sich, und wünschen gekannt zu sein als, Anarchisten, und sie verkünden ihr Blatt als ein Organ anarchistischen Denkens. Und wie alle andern Anarchisten lehnen sie alle die zahlreichen Eigenschaften, auffallend wenn nicht ehrend, ab, womit die Durchschnittsmenschen sie so freigebig ausstatten. Und noch unglaublicher, wie alle andern Anarchisten, bestehen sie darauf (und mit einem Ernst und einer Wärme, dazu angetan, zum Nachdenken anzuregen), dass ihre Mission ein Liebes- und Friedenswerk ist; dass ihre Aufgabe in der Bekämpfung des Übels und Elends, im Widerstand gegen tyrannische Anmassungen und in der Verfechtung des Wahren, Guten und Schönen in der Welt besteht; dass sie, kurz gefasst, das gerade Gegenteil von dem sind und wollen, dass ihnen von den Wörterbüchern, dem Mob und den Führern vorgeworfen und untergeschoben wird.

Darob ist der ehrliche und unparteiische Mensch natürlicherweise wirr und irre. Es ist ihm unerfindlich, wie ein solch unmöglicher Zustand entstehen konnte. Einerseits warnt und droht und versichert man ihn, die Anarchisten seien Teufel in Menschengestalt, Feinde der Menschheit; und anderseits wenden sich diese selben Anarchisten an ihn im Namen der heiligsten Dinge des Lebens.

Plötzlich geht ihm ein Licht auf. Er bekommt eine glänzende Idee und, sich an die Anarchisten wendend, gibt er ihr folgenden Ausdruck:

„Meine Freunde, ich glaube euch. Eure Sache ist eine gerechte. Ihr habt ein erhabenes Ideal und euer Wirken ist fortschrittlich und erspriesslich. Aber, im Namen der Vernunft, warum wählt ihr zu eurer Bezeichnung ein mit allem Verwerflichen synonymes Wort? Ihr dürft euch gewiss nicht beklagen, wenn ihr missverstanden und schlecht behandelt werdet. Wollte ein Prophet sich Mörder nennen, so liefe er Gefahr, 'gelyncht' zu werden. Warum nennt ihr euch nicht Reformatoren, Verkündiger idealer Regierungen, Erstreber vollkommener politischer und sozialer Einrichtungen?“

Diese Fragen unseres Freundes können nicht unbeantwortet gelassen werden, und sein Rat verdient einige Berücksichtigung unsererseits.

Wir wollen gleich hier die Erklärung abgeben, dass zwischen den Prinzipien und Strebezielen unseres Fragestellers kein wesentlicher Unterschied besteht. Es ist nur eine Sache der Definition.

Die „Regierung“ als eine Assoziation definierend, in welche das gesamte Volk eines gegebenen Landes zwecks Schutzes und Trutzes freiwillig eingetreten ist, ist man zu der Verurteilung und Ächtung aller Derjenigen berechtigt, welche die Regierung befehden. Aber nicht so definieren die Anarchisten Regierung. Solcher Regierung opponieren sie nicht, sondern suchen sie vielmehr zu schaffen. In der Tat, kein geistig gesunder und humaner Mensch kann irgendwelches Motiv haben, gegen die Stabilität einer derartigen Regierung zu konspirieren. Eine solche Regierung ist gleichbedeutend mit Anarchie.

Freiheit ist den Anarchisten das höchste Gesetz. Sie verlangen Freiheit für das nicht-aggressive Individuum, Freiheit der Arbeit, Freiheit des Genusses, Freiheit der Liebe, Freiheit der Assoziation, Freiheit der Exploitation der Gaben der Natur, Freiheit der Organisation, Freiheit des Schutzes gegen Verbrecher und Tyrannen.

Wohin führt nun diese kurze Untersuchung der von den Gouvernementalisten wie den Anarchisten für sich erhobenen Ansprüche?

Denken wir uns unter A die Regierung, unter B eine freiwillige Assoziation zu Schutz und Trutz und unter C eine anarchistische Organisation, so finden wir, falls sich die obige Definition von Regierung bewährt, dass die Regierung gleich B ist; dass, ist Freiheit das Synonym der Anarchie, wie die Anarchisten behaupten, B gleich C ist; und dass folglich A gleich C, – d. h. die Anarchie identisch oder gleichwertig mit der Regierung ist.

Verblüffende, unerwartete Folgerung, aber zugleich doch auch eine, welche die Gouvernementalisten neu beseelt und ihnen frischen Mut einflösst. Im Gefühl, dass ihre Sache bestärkt wurde, werden sie grossmütig und herablassend wenden sie sich an uns also:

„Nun, ihr seht endlich das Kindische eures starren Festhaltens an Worten wie das Komische eurer bombastischen Verkündigungen ein. Legt eure Schrullen beiseite. Seid ihr ehrlich und wirklich von guten Absichten geleitet, so habt ihr keine Verwendung für eure kriegerischen und abschreckenden Wahlsprüche. Kommt, gesellt euch zu uns, macht mit uns gemeinsame Sache und, unterstützt von den Sympathien und den Traditionen des Volkes, werden wir, so wir nur verständnisvoll und geduldig voranschreiten, gewiss —“

Ja, was denn?

Liebe Regierungsgläubige, wozu wünscht ihr unsere Mitwirkung? Ist die Regierung das, als was ihr sie erklärtet, woher kommt dann eure Unzufriedenheit? Regierung wollt ihr, Regierung habt ihr. Seid deshalb zufrieden und freut euch der Segnungen der grossen und herrlichen Regierung, unter der ihr das Glück habt, zu leben. Seid stolz auf sie, wie sie stolz auf euch ist, euch, ihre edlen und zuverlässigen Kämpen.

Es betrübt euch, dass euer Blick auf allen Seiten dem Elend, der Armut, der Tyrannei, dem Unrecht, der Unterdrückung, dem Verbrechen, dem Laster, der Erniedrigung begegnet? Ihr wollt das Übel entwurzeln und die Ungerechtigkeit abschaffen? Aber wie könnt ihr das Leben und die Gesellschaft reformieren? Fängt es nicht an euch jetzt einzuleuchten, dass die Regierung nicht der grosse und mächtige Hebel des Fortschritts ist, für den ihr sie hieltet? Es ist nicht mehr einzig und ausschliesslich die „Regierung,” die ihr verlangt, – denn die habt ihr, – sondern etwas anderes. Was ist es?

Arme Regierungsgläubige! An diesem Punkte erinnert eure Konfusion an den Turmbau zu Babel. Anstatt den Anarchisten – den Gegnern der Regierung – eine geschlossene Fronte zu bieten, seid ihr hoffnungslos demoralisiert und verwirrt. Nicht zwei unter euch stimmen überein hinsichtlich dessen, was zu erstreben ist oder dessen, was euch mangelt. Einige agitieren zu Gunsten einer Verstärkung, andere zu Gunsten einer Beschränkung der Regierung, wieder einige streben eine von der heutigen verschiedene Regierung an, wieder andere reden einer experimentalen Berücksichtigung aller gemachten Vorschläge das Wort.

Vielleicht seid ihr jetzt bereit, den Anarchisten – das einzige gelassene und gefasste Individuum unter Allen – um Hilfe in der Lösung des Knotens anzugehen? Ihr sollt euch nicht umsonst an ihn wenden; ihr werdet eine Erklärung erhalten und diese Erklärung, wie wir voraussehen, wird euch instand setzen, einzusehen, warum die Anarchisten die Regierung verwerfen – die Sache, die Definition, Alles – und unter ihrer eigenen Flagge segeln.

Die Regierung ist weder heute, noch war sie jemals eine freiwillige Organisation zu Schutz und Trutz. Geschichte wie Logik demonstrieren gerade das Gegenteil. Die Regierung entstand durch die Gewalt und beruht auf der Gewalt. Zivilisation und Regierung schliessen einander aus. Die fortschreitende Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft wird erst möglich in dem Masse, in dem die Regierung eine nach der anderen ihre Funktionen verliert und auf einen immer kleineren Raum zurückgedrängt wird. Industrielle Unternehmungen, die Erweiterung des Gebiets und Einflusses der zivilisierenden und einigenden und läuternden Agenten der Bildung und der Kultur, die Vermehrung des Wissens, das Aufblühen der Künste und Wissenschaften und der Literatur, weit entfernt, von der Regierung abzuhängen, gründen sich vielmehr auf deren Nichteinmischung und praktische Existenzlosigkeit. Jeder Schritt vorwärts seitens der Gesellschaft bezeichnete von jeher für die Regierung einen Verlust. Der Sieg der Menschheit bedeutet den Untergang der Regierung. In dem Streben nach Vollkommenheit seitens der Menschen muss die Regierung entweder ignoriert oder bekämpft werden. Der schliessliche Triumph der Zivilisation wird zusammenfallen mit dem gänzlichen Verschwinden auch jeder Spur von Regierung.

Soviel geben Alle zu. Die Orthodoxesten sprechen von dem idealen Zustand der Gesellschaft als einem Zustand gänzlicher Abwesenheit aller Regierung, in dem der Mensch sein Verhalten spontan so kontrolliert, wie es im höchsten Grade der gesellschaftlichen Harmonie entspricht.

Die Erfahrung der Vergangenheit muss unsere Führerin sein in der heutigen Verworrenheit. Welch andres Licht haben wir? Ob die herrschenden Übelstände der Regierung zuzuschreiben oder das Produkt verschiedener Faktoren sind, mag eine offene Frage sein. Was aber keinen Zweifel zulässt, ist, dass in der Berechnung der Mittel zur Beseitigung der Übelstände die Regierung vollständig ignoriert werden muss. Was die Übelstände beseitigen wird, ist die Freiheit, der Gegensatz zur Regierung. Das Heilmittel gegen irgendeine besondere Krankheit der Gesellschaft liegt in der Beschränkung der Regierung. Folglich, zusammen addiert, scheint die Panazee in der Abwesenheit aller Regierung zu liegen.

Unter welchem Namen sollen wir diese Überzeugung der Welt verkünden? Welch anderer, besserer ist da zu finden als derjenige, den wir gewählt haben? Indem die Anarchie, nach dem Zugeständnis der Orthodoxen, das Ideal ist, dem die Gesellschaft zustrebt, müssen Alle, die für den Fortschritt und die Entwicklung einstehen, sich als Anarchisten erklären. Mögen diejenigen, welche die Regierung zu verewigen und zu verstärken streben, sich Gouvernementalisten nennen, aber sie sind Feinde der Zivilisation. Zwischen ihnen und uns kann es weder Frieden noch ein Kompromiss geben. Unsere Sorge sollte dahin gehen, die Demarkations- und Scheidelinie so bestimmt und deutlich zu ziehen, dass neutrale Menschen leicht zwischen beiden unterscheiden und den einen vom andern erkennen können.

Sagst du, du seist ein Gouvernementalist, so sagst du nichts. Sagst du, du seist ein Anarchist, so erklärst du mit einem Wort dein Ideal, deinen Glauben, deine Sympathien, die Richtschnur deines Handelns. Es ist wahr, der Pöbel und die Vorurteilsvollen mögen dich missverstehen, aber das müssen und werden sie in jedem Falle tun. Die Intelligenten werden dich verstehen, und liegt nicht in diesen deine einzige Hoffnung?

VICTOR YARROS.

(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 4–5.)

Zur Klarstellung.

Nach der herrschenden Ansicht ist Anarchismus gleichbedeutend entweder mit Chaos, Mord und Raub oder aber mit eitler Schwärmerei. Dass der Pöbel an dieser Auslegung des anstössigen Wortes hartnäckig festhält, kann ich verstehen; dass aber auch ehrliche und im Allgemeinen intelligente Volkslehrer und Zeitungsschreiber dieselben Begriffe mit dem Worte verbinden wie der Pöbel, kann ich nicht verstehen. Und gleich von vornherein bestreite ich diesen Volkslehrern und Zeitungsschreibern die Zulässigkeit, den Begriff einer Sache sich beim Pöbel einzuholen. Will ich etwas über das Gesetz der Schwere lernen, so wende ich mich an Newton und nicht an die Leute, die mit sicherem Instinkt in der Verbreitung der neuen Lehre eine Gefahr für den sie ernährenden Aberglauben erblicken. Will ich mich bezüglich der Deszendenztheorie informieren, so gehe ich zu Darwin und Hæckel und nicht zu den Professoren im Solde Derjenigen, die nichts als ihre Ahnen besitzen, worauf sie stolz sein können. Und um den Anarchismus als das zu erfassen, was er in Wahrheit ist, frage ich, falls mir die eigene Beobachtung und das eigene Denken keine befriedigende Antwort zu geben vermag, bei Proudhon, Josiah Warren, Herbert Spencer, Lysander Spooner, Max Stirner u. A. an und verschliesse mich gegen die Verdrehungen und Verleumdungen desselben seitens Derjenigen, die ganz richtig in ihm den unerbittlichen Feind ihrer Privilegien wie den strengen Strafrichter ihres frevlen Tuns und Treibens sehen.

Das ist gerade das Traurige, dass sich die Bekämpfer des Anarchismus der Mühe nicht unterziehen, denselben auf seinen Kern zu prüfen, oder sich auch nur mit den Werken seiner grossen und genialen Fürsprecher vertraut zu machen, sondern sich willkürlich einen anarchistischen Strohmann zurechtzuzimmern und dann wacker auf denselben losschlagen. Damit beweisen sie nur, wie wenig sie von der Sache verstehen, die sie so von oben herab abzutun sich unterfangen. Hier denke ich an einen Mann, der den Anarchismus allwöchentlich vernichtet und doch noch nie ein anarchistisches Werk gelesen, geschweige denn gewissenhaft studiert hat. Und dieser Mann ist der Typus einer ganzen Klasse. Wäre es nicht löblicher, wenn er die Sache, die er nicht versteht, auf sich beruhen liesse, bis er einmal wirklich „hinter sie gekommen“ wäre?

Wäre dieser Mann, den ich im Geist vor mir sehe, in der Bildung seines Begriffs vom Anarchismus gewissenhaft zu Werke gegangen, so müsste er wissen, dass die Gewalt nicht nur nicht ein integrales Moment desselben bildet, wie er seinen Lesern nicht müde wird zu verkünden, sondern von ihr geradezu ausgeschlossen ist. Die Gewalt ist vielmehr das eigentliche Wesen des Staates, und die Anarchie ist die Verneinung der Gewalt, mithin des Staates. Die Tatsache, dass manche Anarchisten der herrschenden Gewalt des Staats ihrerseits wieder Gewalt entgegenstellen, macht die Gewalt doch gewiss nicht zu einem wesentlichen Bestandteil des Anarchismus. Die Frage, wie man die Gewaltherrschaft des Staates am erfolgreichsten bekämpfen kann, hat mit der Frage nach dem Anarchismus selber gar nichts zu schaffen.

Und noch einmal, wäre der Mann, den ich im Geiste vor mir sehe, in der Bildung seines Begriffs vom Anarchismus gewissenhaft zu Werke gegangen, so müsste er ebenfalls wissen, dass derselbe, weit entfernt, den Boden des Tatsächlichen verlassen zu haben, wie er gleichfalls seinen Lesern beizubringen versucht, gerade auf demselben fusst und auf nichts weniger abzielt als ein unerreichbares Wolkenkukuksheim. Der Anarchismus gibt sich bezüglich der menschlichen Natur keinen Illusionen hin. Ihm sind die Gebrechen und Schwächen derselben so bekannt wie nur irgendeinem Menschen mit offenen Sinnen. Er setzt keine vollkommenen Menschen voraus, wie ihm fälschlich untergeschoben wird, er postuliert die Selbstherrlichkeit des Individuums und die Freiheit als unumgängliche Bedingung der fortschrittlichen Entwicklung des Einzelnen wie der Gesellschaft. Diese Entwicklung vollzieht sich in Gemässheit mit natürlichen Gesetzen und weist alle willkürliche Einmischung fremder Autorität, wie immer sich dieselbe auch motiviere, entschieden zurück. Das Mass von Ordnung, das wir heute haben, ist nicht irgendwelcher gesetzlichen Feststellung zu Gute zu schreiben, sie ist wesentlich das Resultat eines natürlichen, durch Jahrtausende sich erstreckenden Entwicklungsprozesses. Und wenn sich die heutige „Ordnung“ in immer höherem Grade als unsicher und hinfällig zu erweisen droht, so ist das einzig dem Umstand zuzuschreiben, dass die Menschen aus guten wie schlechten Absichten dem natürlichen Verlauf der Dinge etwas am Zeuge flicken wollten und demselben grosse Hindernisse in den Weg stellten. Daraus folgt von seiten die Forderung nach der Beseitigung dieser Hindernisse oder nach der Abschaffung des Staats, in welchem die die freie Entwicklung hemmenden Mächte ihre Verkörperung finden. Worin die Forderung des Anarchismus gipfelt, wenn auch nicht, wie ich hier betone, in rousseau'schem Sinn, ist in den Worten des Telldichters die Rückkehr des alten Urstands der Natur, wo Mensch dem Menschen gegenübersteht, – d. h. frei von allen kirchlichen und staatlichen Satzungen.

Die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung deutet auf die Auflösung des politischen Staats im ökonomischen Organismus. Der Anarchismus stellt Produktion und Konsumption, Handel und Wandel, Kunst und Wissenschaft, Literatur und Erziehung der Privatinitiative anheim und überlässt ruhig die Sorge für die immer höhere Entfaltung und Vervollkommnung dieser Dinge dem freien Übereinkommen der dabei interessierten Individuen. Er hat die unerschütterliche Überzeugung, dass das gemeinsame Interesse, welches nicht weggeleugnet werden kann, sondern mit der wachsenden Intelligenz immer offenbarer werden wird, die Menschen fester aneinander anschliessen wird als aller gesetzliche und polizeiliche Zwang. Laissez-faire ist sein leitendes Prinzip, aber das bedeutet nicht, um mich der Worte eines neueren Schriftstellers zu bedienen, wie die Gegner verächtlich hinzuwerfen pflegen, Anarchie im üblen Sinne des Wortes, oder freies Schalten aller bösen Triebe der menschlichen Gesellschaft, sondern die Freiheit ist auch hier geregelt, aber von einem anderen Gesetzgeber als dem hinter dem grünen Tisch sitzenden, nämlich von den ewigen und unabänderlichen, im freien entwickelten Verkehr sich deutlich offenbarenden Naturgesetzen, denen alle Interessenten bei Strafe der Vernichtung ihres Wohlergehens sich unterwerfen müssen.

Dieser Entwicklungsprozess in Anarchismus wird nun voraussichtlich nicht so friedlich verlaufen, wie es zu wünschen wäre. In dem Grade, in welchem er infolge des erwachenden Volksbewusstseins vorwärts schreitet, wird er unvermeidlich in immer heftigeren Konflikt geraten mit der herrschenden Gewalt, die er notwendig bedroht und auf deren gänzliche Vernichtung er abzielt. Aber so lange uns das Recht der freien Presse und der freien Rede unbenommen bleibt, wird sich Libertas mit der energischen Betreibung der geistigen Agitation begnügen, die Anwendung aller Gewaltmittel zwecks Beseitigung der herrschenden Ordnung verwerfen und sich auf die Macht des passiven Widerstands verlassen. Mit der Beseitigung der geistigen Misere und Versklavung, die wir mittels der Weckung der Intelligenz und eines erleuchteten Egoismus anstreben, zerstören wir zugleich auch die Pfeiler der herrschenden Gewalt und verursachen den Zerfall der ökonomischen Misere. Wenn das auch langsam geht, so gedulden wir uns bei dem Gedanken, dass wir in dem sich vor unseren Augen abspielenden Entwicklungsprozess einen mächtigen Bundesgenossen haben und der Erreichung des gesteckten Zieles versichert sein dürfen.

Und so begibt sich denn Libertas an ihre Aufgabe mit „dem Ernst, den keine Mühe bleichet.“

G.S.

(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 1.)

FREIHEIT.

[Aus dem Englischen für Libertas übersetzt von H. F. Lüders.]

Wer dürfte wohl zu sagen sich erkühnen: „So, so allein soll mir das Meer erscheinen“? Sei’s, dass es liegt in stiller Friedenspracht, Die Erde küssend und des Himmels Blau Rings wiederspiegelnd von smaragdner Flut; Sei’s, dass vom Wind bewegt, auf seiner Brust Es unsre weissbeschwingten Boten trägt Zu Zielen blut'gen Rubins und ernster Not; Sei’s, dass gepeitscht vom Sturme, es sich beugt Der Macht der Elemente, brüllend schlägt An seine Felsenkerkerwände; wild Lebend'ger Wesen Blut voll Mordlust trinkt Und seinen Strand mit Trümmern übersä’t: Stets ist’s das Meer und Alle beugen sich Vor seiner schrankenlosen Majestät.

So auch umsonst versucht der feige Mann, Der Freiheit enge Grenzen aufzubauen. Denn schrankenlos zu sein ist ein Gesetz, So sich die Freiheit schuf und das im Sturm Und Frieden gleich sie unentwegt befolgt. Verachtet sie drum nicht, wenn sie im Schlaf Gleich einem Leuen ruht, indes ein Schwarm Von Übeln sie umflattert harpyengleich; Noch zweifelt, wenn sie in verworrner Zeit Des Schreckens Fackel schwinget und ihr Ruf Durch alle Lande bebt, wenn in des Kriegs, In der Empörung Wut ihr Riesenleib Erscheint auf dem Richtplatz, wo das Beil Als Grabgeläute der Tyrannen tönt: Dann stets in deinem Aug, o Freiheit, Erstrahlt ein hehres Licht, der Welt zum Heil; Ob du uns tötest auch, vertrauen wir dir.

– John Hay.

(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 1.)