Die Dringlichkeitsfalle überwinden und mehr Zeit für das Wesentliche finden
from Michael Gisiger
Vor kurzem ertappte ich mich wieder dabei: Ich starrte auf meine To-do-Liste, randvoll gefüllt mit Aufgaben, die dringend schienen. Eine E-Mail hier, eine Chatnachricht dort – viele kleine Dinge, die „sofort“ erledigt werden mussten. Ohne darüber nachzudenken, begann ich zu arbeiten, setzte Häkchen hinter die Aufgaben, die ich schnell abarbeiten konnte. Doch am Ende des Tages blieb das Gefühl, dass ich zwar viel „getan“ hatte, aber nichts wirklich Relevantes erreicht worden war. Kennst Du das auch?
Was mich in dieser Situation beschäftigte, war nicht die Menge der Aufgaben, sondern die Prioritäten, die ich unbewusst gesetzt hatte. Statt mich den wichtigen, strategischen Projekten zu widmen, die meinen beruflichen und persönlichen Fortschritt tatsächlich voranbringen, war ich in die Dringlichkeitsfalle getappt. Diesem Phänomen begegnen viele von uns tagtäglich – es ist in der Wissenschaft als der Mere Urgency Effect bekannt.
Der Mere Urgency Effect: Dringlichkeit täuscht Wert vor
Studien belegen, dass Menschen dazu neigen, Aufgaben zu bevorzugen, die dringend erscheinen, auch wenn sie objektiv weniger wertvoll sind. Der Begriff „Mere Urgency Effect“ beschreibt genau dieses Verhalten. Eine Studie des Journal of Consumer Research (PDF) bringt es auf den Punkt: „People behave as if pursuing an urgent task has its own appeal, independent of its objective consequence.“ („Menschen verhalten sich so, als ob das Verfolgen einer dringenden Aufgabe ihren eigenen Reiz hätte, unabhängig von deren objektiven Konsequenzen.“) Es ist diese „Verlockung“ der Dringlichkeit, die uns oft dazu bringt, unsere Zeit mit Aufgaben zu füllen, die uns kurzfristig beschäftigt halten, aber keinen wirklichen Beitrag zu unseren langfristigen Zielen leisten.
Was macht die Dringlichkeit so verführerisch? Einerseits gibt es die sofortige Befriedigung, wenn eine Aufgabe erledigt wird, besonders wenn sie schnell abgehakt werden kann. Andererseits entsteht in uns ein psychologischer Druck, wenn Deadlines nahen oder andere auf unsere Reaktion warten – sei es per E-Mail, Telefon oder Chat. In diesen Momenten fühlt es sich fast unmöglich an, solche Aufgaben zu ignorieren, auch wenn sie vielleicht nicht wirklich wichtig sind.
Die Eisenhower-Matrix: Den Fokus auf das Wichtige richten
Jüngst las ich Stephen Coveys Buch Die 7 Wege zur Effektivität und wurde wieder an die berühmte Eisenhower-Matrix erinnert. Diese einfache, aber effiziente Methode zur Priorisierung von Aufgaben unterteilt sie in vier Quadranten, abhängig von ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit (hier die vier Quadranten nach Covey):
Quadrant I (Wichtig und dringend): Hier befinden sich Aufgaben, die sowohl wichtig als auch zeitkritisch sind – etwa Krisen oder dringende Deadlines. Sie erfordern sofortige Aufmerksamkeit.
Quadrant II (Wichtig, aber nicht dringend): Dies ist der Quadrant, den Covey als den Schlüssel zu langfristiger Effektivität betrachtet. Hier liegen Aufgaben, die zwar von hoher Bedeutung sind, aber keinen unmittelbaren Zeitdruck haben – beispielsweise strategische Planung, Weiterbildung oder die Pflege von Beziehungen.
Quelle: franklincovey.com
Quadrant III (Dringend, aber nicht wichtig): Viele von uns verbringen hier viel zu viel Zeit. Diese Aufgaben erscheinen dringend, tragen aber wenig zum Erreichen unserer langfristigen Ziele bei. Unterbrechungen, unnötige Meetings oder ständige E-Mails gehören in diesen Quadranten.
Quadrant IV (Weder wichtig noch dringend): Hier findet man Zeitfresser, die keinen wirklichen Wert haben, weder kurzfristig noch langfristig. Dazu gehören übermässige Freizeitaktivitäten oder Ablenkungen wie zielloses Surfen im Internet.
Was mir nach der Lektüre von Coveys Buch besonders klar wurde: Die meisten Aufgaben, die mich durch ihren dringenden Charakter gefangen nehmen, gehören in Quadrant III – sie sind dringend, aber eigentlich nicht wichtig. Wie oft habe ich den Drang verspürt, auf eine E-Mail sofort zu antworten, nur weil sie neu in meinem Postfach lag? Diese ständigen Unterbrechungen rauben uns nicht nur wertvolle Zeit, sondern auch den Fokus auf das, was wirklich zählt. Der entscheidende Punkt ist, dass nicht jede Deadline wichtig ist. Während Aufgaben in Quadrant I dringlich und strategisch entscheidend sind, handelt es sich bei den Aufgaben in Quadrant III oft um Tätigkeiten, die zwar sofortige Aufmerksamkeit verlangen, aber keinen langfristigen Mehrwert bringen. Genau hier liegt die Gefahr, wertvolle Zeit für Dinge zu opfern, die keinen echten Beitrag zu unseren Zielen leisten.
Warum der Fokus auf Quadrant II entscheidend ist
Covey argumentiert, dass wir langfristig nur dann erfolgreich sein können, wenn wir den grössten Teil unserer Zeit in Quadrant II verbringen. Hier befinden sich die Aufgaben, die zwar nicht dringend erscheinen, aber enorm wichtig für unsere langfristigen Ziele sind. Genau diese Aufgaben bleiben jedoch oft unerledigt, wenn wir uns ständig von der Dringlichkeit aus Quadrant III leiten lassen.
Für mich bedeutet das, bewusster mit meiner Zeit umzugehen und sicherzustellen, dass die wichtigen, nicht dringenden Aufgaben nicht auf der Strecke bleiben. Hier einige Beispiele, die zeigen, warum der Fokus auf Quadrant II entscheidend ist:
- Strategische Planung: Ohne klare Ziele und eine durchdachte Planung verlieren wir leicht den Überblick und verbringen zu viel Zeit mit kurzfristigen Aufgaben.
- Weiterbildung: Sich kontinuierlich weiterzubilden ist der letzte der sieben Wege von Covey (er nennt es „die Säge schärfen“). Dies ist oft keine dringende Angelegenheit, aber sie trägt enorm zum langfristigen Erfolg bei.
- Beziehungen pflegen: Ob im privaten oder beruflichen Kontext – Beziehungen sind von unschätzbarem Wert. Diese zu pflegen erfordert Zeit und Aufmerksamkeit, auch wenn es nicht immer dringlich erscheint.
Indem wir uns mehr auf Quadrant II konzentrieren, vermeiden wir nicht nur die Dringlichkeitsfalle, sondern schaffen auch Raum für echten Fortschritt. Das bedeutet nicht, dass wir dringende Aufgaben aus Quadrant I ignorieren sollten – Krisen und Deadlines gehören zum Leben. Aber wenn wir lernen, die Dringlichkeit aus Quadrant III zu erkennen und zu vermeiden, können wir den Fokus auf das Wichtige zurückgewinnen.
Wie Du die Dringlichkeitsfalle umgehen kannst
Nachdem ich erkannt hatte, wie oft ich mich von der Dringlichkeit blenden lasse, begann ich, einige praktische Schritte umzusetzen, die mir helfen, meinen Fokus neu zu setzen. Vielleicht sind sie auch für Dich nützlich:
Plane bewusst Zeit für Quadrant II ein: Reserviere in Deinem Kalender Zeitfenster für wichtige, aber nicht dringende Aufgaben. Diese Zeit ist heilig und sollte nicht durch Unterbrechungen gestört werden.
Erkenne Zeitfresser in Quadrant III: Überprüfe regelmässig, wie viel Zeit Du mit Aufgaben verbringst, die zwar dringend, aber nicht wirklich wichtig sind. E-Mails, die sofort beantwortet werden wollen, oder ständige Unterbrechungen durch Chatnachrichten sollten auf feste Zeiträume begrenzt werden.
Setze Prioritäten nach Wert, nicht nach Zeit: Lerne, den Wert einer Aufgabe über ihre Dringlichkeit zu stellen. Frage Dich: Welchen langfristigen Nutzen bringt diese Aufgabe? Hilft sie Dir, Deine Ziele zu erreichen?
Reflektiere regelmässig: Nimm Dir regelmässig Zeit, Deine Fortschritte zu überprüfen. Welche Aufgaben hast Du erledigt? Waren es die wichtigen oder die dringenden? Was kannst Du nächste Woche besser machen?
Fazit: Dringlichkeit entschlüsseln, Wichtigkeit priorisieren
Der Mere Urgency Effect ist eine Falle, in die wir leicht tappen können. Es ist verlockend, dringende Aufgaben schnell zu erledigen und das Gefühl zu haben, produktiv zu sein. Doch langfristig führt das dazu, dass wir wichtige, aber nicht dringende Aufgaben vernachlässigen – die Aufgaben, die wirklich einen Unterschied machen. Die Eisenhower-Matrix, so wie sie Coveys verwendet, zeigt uns, wie wir aus dieser Falle entkommen können. Indem wir bewusst Zeit für das Wichtige (Quadrant II) einplanen und uns weniger von der Dringlichkeit blenden lassen, können wir nicht nur unsere Produktivität steigern, sondern auch unsere Ziele langfristig erreichen.
Bildquelle Arthur „Katzen-Heyer“ Heyer (1872–1931): Drei neugierige Katzen, Dorotheum, Wien, Public Domain.
Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet. Für die Recherche in den erwähnten Werken/Quellen und in meinen Notizen wurde NotebookLM von Google verwendet.
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