Rache.
EIN OFFENER BRIEF AN DIE KOMMUNISTISCHEN ANARCHISTEN CHICAGOS.
Krieg und Autorität sind Gefährten, so sind Frieden und Freiheit. … Blutvergiessen ist an und für sich ein reiner Verlust.
B. R. Tucker.
An dem Rande des Grabes, gleichsam in der Gegenwart unserer gemordeten Toten, die Herzen schwellend von den wechselnden Empfindungen der Freude und der Verzweiflung, des Ruhmes und des Bedauerns, des Stolzes und des Schmerzes, das Echo der edlen Sterbeworte noch in Euren Ohren wieder klingend, fandet Ihr, die kommunistischen Anarchisten Chicagos, Euch Angesicht zu Angesicht mit der ernsten Frage: „Was nun? Männer der Anarchie wollet Ihr Euch rächen?“
Und mit Stimmen laut und leise, wild, entschlossen und feierlich, nahmt Ihr den furchtbaren Eid: „Wir wollen!“
Und auch wir, die individualistischen Anarchisten der Welt, die wir jene toten Helden geliebt und geehrt hatten, obwohl wir während ihres Lebens nicht immer mit ihnen auf gleichen Pfaden wandeln konnten, wir auch echo'ten jenes feierliche Gelübde: „Wir wollen!“
Doch wie? Diese Frage tritt nun in den Vordergrund. Soll es durch Krieg sein? Sollen wir mit Robert Reitzel* Blut für Blut verlangen und lernen bitterlich zu hassen? Sollen wir diese Leute, welche unsre Teuren erschlagen haben, nun mit dem heimlichen, furchtbaren Schatten unserer unerbittlichen Rache verfolgen? Soll die Keule sie niederstrecken in der Finsternis, der vergiftete Dolch sie durchbohren beim Strahl der Mittagssonne, die furchtbaren Vulkane des Dynamits donnernd ihr Verdammungsurteil verkünden in den stillen Stunden der Mitternacht?
Oder sollen wir uns in unserer Macht erheben, in Horden, gleich den heulenden Wölfen der Steppe, und in einer Revolution des Blutes, furchtbar durch Schwert, Bombe und Fackel, ihre Städte, Kerker, Gerichtshäuser, Paläste und Salons in rauchende Trümmer stürzen, ihre Armeen und Polizeimächte in blutige Fragmente zerreissen, und so durch die furchtbaren Gewalten des Hasses und der Furcht die Toten rächen und der Freiheit eine Gasse bahnen? Mit bleichen, verzerrten Gesichtern, wutgeblendeten Augen und knirschenden Zähnen haben Tausende geantwortet: „Ja!“ Doch bestimmt und ohne Zögern antworten wir: „Nein!“
Und doch wenn je seit der Dämmerzeit der Geschichte eine so niederträchtige Tat an so unschuldigen Menschen verübt wurde, dass dieselbe unzweifelhaft den Krieg rechtfertigte, so steht dieser Gerichtsmord derselben gleich. Die Tyrannenhand der Gewalt war blutdürstend ausgestreckt und die Adern unserer Bravsten und Beredtesten wurden geleert, um ihr den Becher zu füllen.
Doch, Kameraden, cui bono? Welchen Nutzen hätte das Blutvergiessen jemals gebracht? Welche Flecken hätte es je ausgelöscht – nein, hat es dieselben nicht nur unter einem noch dunkleren Flecken verborgen? Lasst die törichte Einbildung der Blutsühne für immer und in allen ihren Formen abgetan sein.
Ihr sagt, dass der Krieg Dynastien gestürzt, Throne zertrümmert, Tyrannen getötet, Armeen vernichtet und Völker befreit habe. Zugegeben; doch was war alles dieses wert? Der Krieg stürzte einen König, damit ein anderer Monarch herrschen möge; aus den zertrümmerten Thronen wurden andere, festere gebaut; jene toten Tyrannen, gleich toten Fliegen, haben andere und wieder andere gezeugt; für jede zerstörte Armee wurden zehntausend neue ins Leben gerufen, und die durch den Krieg befreiten Völker wurden nie zu freien Menschen.
Ihr sagt mir, dass durch Konflikt und Kampf die Menschheit Kraft entwickelt und das Überleben der Passendsten erlangt habe. Auch das ist teilweise wahr. Der Kampf mit Menschen, wie der Kampf mit der Natur, entwickelt Muskelkraft, Mut und Gehirn; allein das beweist nicht, dass der Kampf mit Menschen nicht viel kostspieliger und viel weniger erfolgreich ist, als der Kampf mit der Natur. Gleich der Kassavawurzel hat das Übel stets die Tendenz, sein Gift zu verflüchtigen und harmlos zu werden, doch so lange noch irgend Gift zurückbleibt, ist es immer ein Übel. Menschliche Wohlfahrt ist menschliches Glück und das Glück, welches mit dem Kriege kommt, kommt meist trotz desselben. Obgleich es sentimental klingen mag, so erkläre ich es dennoch als meine aufrichtige Überzeugung, dass die zarte Liebe und das vergebungsvolle Mitleid der Frauen und die hilflosen Rufe der Säuglinge zur Verewigung alles dessen, was edel ist in der Menschennatur, mehr beigetragen haben, als alle wilde Leidenschaft, aller tierischer Hass und alle brutale Gewalt seit undenklichen Zeiten. Der milde Forscher, welcher in seinem stillen Zimmer sitzend die Natur um ihre Geheimnisse befragt und ihre Antworten seinen Mitmenschen vermittelt, leistet der Freiheit bessere Dienste, als wenn ein Gottesgericht jeden Herrscher auf der runden Erde, vom russische Zaren bis zu einem Chicagoer Polizisten, erschlüge. Doch wenn Wissen im Allgemeinen so viel wert ist, dann ist die Wissenschaft im Dienste wahrer Freiheit und der Organisation freier Menschen von ganz unberechenbarem Wert. Die Welt hat des Blutes genug gehabt. Seit undenklichen Zeiten hat alltäglich die Sonne herabgeschaut auf menschliche Wesen im tödlichen Kampfe miteinander ringend. Seit undenklichen Zeiten verschwand dieselbe Sonne allnächtlich hinter Wolken des Pulverdampfes und der Schlachtfelder Staub und erhob sich allmorgendlich durch blutgeschwängerte Nebel über ein leichenbedecktes Gefild. Allnächtlich blickte der Silbermond herab auf Wall und Lagerstatt, während Helm und Schwert in seinem Strahle glitzerten, bis der Glutschein brennender Städte ihn erblassen liess. Seit tausenden von Jahren starrten alltäglich aus den bleichen, verzerrten Gesichtern der Erschlagenen die seelenlosen Augen empor zum Azurgewölbe des Tages und dem gestirnten Dom der Nacht. Unerschöpflich floss der Wunden Purpurquelle. Fortwährend tönten der Opfer Sterbeseufzer. Unaufhörlich klangen der Wittwen und Waisen Klagen. Und doch, was nützte alles Dieses? Ist es nicht genug?
Es gab eine Zeit, da auch mich ein Kriegsrausch beherrschte. Ich verehrte die Macht und glaubte an der Menschheit Erlösung durch sie. Gleich dem Streitrosse erfüllte mich das Rollen der Trommel und der Hörner schriller Klang mit fieberhafter Ungeduld. Ich zerrte gleich dem Hunde an der Koppel, wenn ich den gemessnen Schritt bewaffneter Scharen hörte, wallende Banner und Federn, schäumende Rosse und blitzende Waffen sah. Doch ach! Es war eines Toren hirnlose Begeisterung. Es liegt ein fluchwürdiger Rausch in dem Pomp und der Leidenschaft des Krieges, höllischer als Haschisch, wirrer als Opium oder Alkohol, die Kräfte des Verstandes überwältigend, gleich den hinterlistigen Dämpfen eines Giftes uns zu unsrer Vernichtung lockend wie der tosende Fall oder die schwindelnde Höhe.
Gerade diese berauschende Eigenschaft des Krieges ist es, Kameraden, welche denselben gefährlich macht. Sie zerstört die Individualität und lähmt das Wachstum der freien Vernunft. Sie zieht die Menschen in heulenden, irren Herden, um das Gebot ihrer schlauen und unerbittlichen Herren auszuführen. Der Söldner gibt nichts um Freiheit und kann nicht. Er ist macht trunken. Er ist abwechselnd und gleichzeitig ein Sklave und ein Tyrann. Er ist ein Räuber ohne Reue, ein Mörder ohne Zögern, ein Brandstifter ohne Veranlassung. Er entsagt seinem freien Willen, vergisst, dass er ein Mensch ist und wird ein Hund, der zerfleischt, auf wen er gerade gehetzt wird. Er ist ebenso eine Todesmaschine, wie das Gewehr, das er trägt.
Auch zu Gunsten des Meuchelmords lässt sich Etwas sagen, denn Meuchelmörder haben der Freiheit einige gute Dienste geleistet. Der Meuchelmörder erhält und entwickelt seinen Verstand und seine Individualität. Da der dritte Schritt in seiner Laufbahn (nach Vorbereitung und Tat) das Märtyrertum ist, so entwickelt er sittlichen Mut der höchsten Art. Wenn er ist, was er sein sollte, so ist er gleich Brutus, ein Fürst unter Menschen. Doch dieses Hilfsmittel, um erfolgreich zu sein, sollte allgemein und häufig angewendet werden. Das ist unmöglich. Es ist wohl den innersten Neigungen und Instinkten der Menschennatur zu sehr entgegengesetzt. Der Meuchelmörder um der Freiheit willen ist ein seltenes Produkt. Die Eigenschaften, welche nötig sind, um einen Menschen human genug zu machen, dass er freudig für die Freiheit zu sterben und doch ohne Zittern und Zagen, in kaltem Blute menschliches Leben zu zerstören vermag, sind einander zu entgegengesetzt, als dass dieselben oft in derselben Brust vereint gefunden werden könnten. Tyrannen sind auf ihrer Hut, kühn und wohl bewacht. Der Mörder vermag gegen sie nur einen Schlag zu führen und dieser, wie die Statistik lehrt, ist gewöhnlich ein Fehlschlag, welcher jedoch ihn selbst tötet. Es ist zu viel gutes Material in dem Tyrannenmörder, als dass dasselbe auf diese Weise verschwendet werden sollte. Er ist zu wertvoll als ein Lehrer und Agitator der stillen radikalen Revolution, als dass er sein Leben wegwerfen sollte in dem Versuche, eine einzige der gesellschaftlichen Pestbeulen zu öffnen. Er vermag nur wenig, selbst wenn er am erfolgreichsten ist, und unter allen Umständen fordert seine Tat eine blutige Vergeltung von Seiten derjenigen, welche er reizt, auf diejenigen, welche er liebt, heraus; jede Schraube der Regierung wird fester angezogen. Schlimmer noch als alles Andere, seine Tat erfüllt mit Grauen manche, die wir gewinnen möchten, und veranlasst dieselben, sich zurückzuhalten. Dieses Mittel ist zu wirkungslos, zu kostbar. Lasst es uns für immer bei Seite legen. Die Freiheit beginnt im Gehirn, pulsiert im Herzen und schafft in der Hand des Individuums. Jede weise, weitreichende Idee, jede sanfte, liebende Empfindung, jeder erhabene und ehrenhafte Instinkt, jedes zarte Mitgefühl und edle Streben bahnen den Weg für die Freiheit. Jedes Flüstern der Selbstachtung zieht sie an wie ein Magnet; jedes furchtlose Wort, jeder Ausdruck der Selbstständigkeit bringt uns auf ihre Seite. Jeder Schmerz, jede Schmach erduldet zur Wahrung menschlicher Würde und gleicher Rechte erhebt uns zu der glorreichen Höhe der Kinder der Freiheit. Was immer das Individuum eifersüchtig macht und besorgt um seine Würde und sein unbeschränktes Wachstum als eine selbstständige Person und sorgsam in Betracht der Würde und Wohlfahrt anderer, weil es erkennt, dass ihr Glück für sein eigenes unentbehrlich ist, alles dieses schafft der Freiheit eine Stätte; und was immer seine Individualität verwischt und ihn achtlos macht, sei es auch in noch so geringem Grade, für die Sympathien, welche ihn an seine Mitmenschen fesseln, wirkt gegen sie. Individualität, Solidarität, diese beide zerstört der Krieg zu gleicher Zeit, während der Meuchelmord letztere vernichtet.
Wenn wir dann, die wir die Freiheit lieben und ihr folgen, sei sie auch noch so fern; wenn wir, die wir ihr Licht im Herzen haben, sei es auch noch so schwach; wenn wir es vermögen, Meuchelmörder und Söldner, Sklaven und Tyrannen, Schlächter und Vernichter zu werden, zu töten durch Feuer und Schwert, zu vernichten, hassen und rächen; wenn wir dann (was noch von uns übrig) als Eroberer stehen auf einer Trümmerwelt und uns frei erklären, was dann?
Dieses. Wir werden finden, dass wir die Lehren des Krieges zu wohl gelernt haben, dass wir den Pfad der Freiheit verloren, ihr Licht verlöscht haben, dass wir den anderen Menschen gleich geworden sind, dass selbst die Kinder, die wir in den Jahren des Kampfs gezeugt, auf ihren Seelen den Stempel der Ungerechtigkeit tragen, dass die Welt noch ist, wie sie zuvor war, und wir schlechter, und dass das ganze traurige Geschäft von Neuem begonnen werden muss.
Ihr könnt nicht frei sein, wenn nicht Eure Mitmenschen es auch sind. Ihr vermögt nicht, andere durch Furcht zu befreien; Ihr könnt sie nicht befreien, indem Ihr sie hasst; und jedes Mal, dass Ihr die blinden, störrischen, unwissender. Leidenschaften in Sachen der Freiheit aufreizt, gelingt es Euch nur, Steine des Anstosses in ihren Pfad zu wälzen. Die Freiheit vermag nur durch die Entwicklung zu kommen, das Wachstum, die Fortbildung der menschlichen Vernunft durch Erziehung, bis die Menschen endlich die überwältigende Bedeutung der Freiheit für ihr eigenes Glück einsehen. Jeder einflussreiche Mann so gewonnen, ist mehr wert, als die Eroberung einer Stadt, es ist ein Gewinn für alle Zeiten.
Keiner kann das Ende eines Waffenganges voraussehen. Wenn wir Blut trinken, können wir auch in Blut ertrinken; wenn wir zum Schwert greifen, mögen wir auch durch dasselbe sterben; unsere Fahnen können genommen, unsere Kanonen vernagelt werden.
Doch wenn wir alle Drohungen und Gewalttaten bei Seite legen, dann sind wir unverwundbar, unwiderstehlich. Was vermögen Gerichte, Könige, Armeen, Advokaten und Polizisten gegen Autoren und Denker, Philosophen, Dichter und Drucker, gegen Logik und Sympathie? Lasst sie es versuchen. Brecht eine Feder, und dieselbe schreibt mit Flammenschrift am Mittagshimmel; zerstört eine Presse, und deren Tinte wird auf ewig die Blätter der Geschichte beflecken; unterdrückt einen Schriftsteller, und ein jeder liest seine Werke; verurteilt eine Propaganda, und ihr macht Euch zum Hauptapostel derselben; nehmt einen Kolporteur gefangen, und die Winde des Himmels werden seine Schriften über alle Zonen der Erde zerstreuen.
Diejenigen, welche gegen das Wissen kämpfen, finden sich in dem Netze des Unsichtbaren. Wesenlose Dolche durchbohren sie; sie kämpfen wütend, doch fallen alle ihre Streiche zurück auf den eignen Körper; es quält sie das Bewusstsein, dass sie als Werkzeuge gebraucht werden, um ihre eigene Niederlage zu erkämpfen.
Wenn Tausende auf dem Schlachtfelde fallen, wer fragt darnach? Wenn eine Million Krieger fielen, dann würde die Ruhmesgöttin den Sieger nur auf die Schulter klopfen und sagen: „Das war ein glorreicher Sieg“; doch wenn auch nur eine Strafe verhängt wird über einen unschuldigen Mann, welcher die Wahrheit lehrt und die Gewalt hasst, dann lauscht die Welt in atemloser Aufmerksamkeit und sollte er geopfert werden, so weint die Menschheit um ihren Geliebten.
Das Blut eines Söldners ist nicht mehr wert, als der Rost am Laufe seines Gewehrs; doch wenn das Blut eines Unschuldigen vergossen wird, dann schleicht sich der Verrat in das Lager und die Scham entweicht mit dem Banner. Ein Märtyrer gewinnt einen grösseren Sieg, als ein Regiment Soldaten in Schlachtordnung je zu gewinnen hoffen dürfen, und sein Sieg ist gewiss, während ihrer sehr ungewiss ist.
Ich sage Euch, Kommunisten von Chicago, dass Eure acht Märtyrer mehr zur Förderung Eurer Sache getan haben, als die Zerstörung von acht Städten wie Chicago. Doch ich sage Euch wiederum, dass das Blut des ersten Menschen, den Ihr aus Rache ermordet, die Hälfte ihres Werkes auslöschen wird, und wenn die erste Dynamitbombe, von Eurer rachedürstenden Hand geschleudert, durch das Fenster eines Salons bricht und das zarte Fleisch unschuldiger Frauen und Kinder zerstückelt, dann wird ihr ganzes Werk ungetan sein. Wenn die Manen von Spies und Parsons dieses Leben wiedersehen könnten, würde der Anblick der blutenden Leichen ihrer Verfolger es sein, was ihnen die grösste Befriedigung gewähren würde? Nein, diese Männer waren zu edel, zu grossmütig, um an Blut und Schmerz Freude zu finden. Freiheit, Gerechtigkeit, Glück waren es, was sie liebten und für deren Förderung sie lebten und starben. Krieg war für sie nicht ein Ziel, sondern nur ein Mittel, und wenn wir ihre Ziele durch friedliche Mittel erreichen können, dann rächen wir sie auf die Art, welche sie selbst in ihren weisesten Augenblicken vorgezogen haben würden.
In der Propaganda der Freiheit kann es nur dann zu einem Fehlschlag kommen, wenn wir die Menschen uns missverstehen, fürchten und hassen ehren; Erfolg kann nur dann uns blühen, wenn wir den Verstand überzeugen und das Herz rühren.
Schwört, denn, Kommunisten Chicagos, wenn Ihr wollt, zu einer Rache durch Blut; wir schwören zu einer Rache durch Erfolg; wenn Eure Rache gelingt, so erwartet Euch schliesslich ein Fehlschlag; für uns gibt es keinen Fehlschlag.
J. WM. LLOYD.
*Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier bemerkt, dass Robert Reitzel, was immer seine Ansichten hinsichtlich der von den Revolutionären zu befolgenden Taktik sein mögen, kein Kommunist ist, sondern stark zum individuellen Anarchismus hinneigt.
(Libertas 5, Samstag, 19. Mai 1888, S. 7.)
Anmerkungen
- Die kursiven Hervorhebungen entsprechen dem Originaltext.
- John William Lloyd (1857–1940) war ein US-amerikanischer Anarchist und Vertreter des individualistischen Anarchismus. Er schrieb viele Bücher und hunderte von Gedichten, die in anarchistischen Zeitschriften veröffentlicht wurden.
- Lloyd spricht hier natürlich den Haymarket Riot im Mai 1886 in Chicago an. Vom 1. Mai an streikten Arbeiter, am 4. Mai warf jemand eine Bombe in die Menge der Protestierenden auf dem Haymarket, woraufhin die Polizei das Feuer auf die Menge eröffnete und eine bis heute unbekannte Zahl von Protestierenden verletzte oder tötete.
- Im Nachgang wurden sieben Organisatoren des Protestes zum Tode verurteilt. Sechs der Urteile wurden am 11. November 1887 vollstreckt, einer der Verurteilen beging in seiner Zelle Selbstmord und zwei der Urteile wurden vom Gouverneur nach dem Gnadenrecht in lebenslange Haft umgewandelt. Ein weiterer Anarchist wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
- 1893 erliess der Gouverneur von Illinois einen Gnadenerlass für die drei Inhaftierten, die dadurch freikamen. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass alle Angeklagten unschuldig gewesen seien.
- Unter den sechs Hingerichteten waren die im Text erwähnten Albert Parsons und August Spies. Zu Spies s. auch die Anmerkungen hier.
- Der in der Fussnote erwähnte Robert Reitzel (1849–1898) war deutsch-amerikanischer Schriftsteller, Journalist und Herausgeber der Zeitschrift „Der arme Teufel“. Auch wenn Loyd hier versucht, Reitzel für den Individualanarchismus zu vereinnahmen, bewahrte dieser eine freundschaftlich-ironische Distanz zu seinen anarchistischen Zeitgenossen: „Ich überlasse es meinen Freunden Tucker und Most, auszufechten, wer den wahren Anarchismus vertritt, … ich bin nur ein armer Teufel, der sich über die Gesellschaft der Zukunft gar keine Gedanken macht, der jeden Zwang, jedes Unrecht bekämpft, jeder Wahrheit zujubelt, und wäre sie noch so schmerzlich, … und es so weit fertig gebracht hat, trotz Staat, Kirche und der ehrbaren öffentlichen Meinung unabhängig zu leben.“ (zit. n. Oliver Hemmerle: „Der arme Teufel.“ Eine transatlantische Zeitschrift zwischen Arbeiterbewegung und bildungsbürgerlichem Kulturtransfer um 1900. Münster 2002, S. 185). Der Streit, den Tucker und Most ausfochten, ist auch mehrmals Gegenstand in der Libertas.