Cineneh

Ich schreibe über Filme – unter anderem

Irgendwo in den Bergen. Hier ist eine Seilbahn Dreh- und Angelpunkt für Begegnung, Verbindung und die Liebe. Zwei Gondeln fahren stetig hoch und runter zwischen einem Dorf oben in den Bergen und einem Dorf unten im Tal. Als der alte Seilbahnschaffner stirbt, trägt diese auch seinen Sarg hinunter in die Tiefe. Seine Tochter, die aus der Fremde zurückkehrt, übernimmt, aber da es nun einmal zwei Gondeln sind, braucht es noch einen zweiten Mitarbeiter oder eine zweite Mitarbeiterin. Die Entscheidung fällt für die Person, der die Uniform passt. Und so lernt das Publikum Iva (Mathilde Irrmann) und Nino (Nini Soselia) kennen, zwei junge Frauen, die fortan die Gondeln betätigen werden. Gondola von dem deutschen Regisseur Veit Helmer ist ein Kino-Märchen, zeitlos und verspielt. Humorvoll und aufmüpfig.

Viele Regisseure und Regisseurinnen haben eine unverkennbare Handschrift. So auch Veit Helmer. Schon in seinem ersten Kurzfilm. In Surprise! (1995) erzählte er seine Geschichten ohne Dialoge. Sein erster Langspielfilm, Tuvalu (1999) spielte in einem verfallenen Schwimmbad. Anton, der Bademeister und Martha, die Kassiererin, verwenden allerlei Tricks, um Antons blindem Vater den Eindruck zu vermitteln, das Schwimmbad wäre voller tobender Kinder. Eine Eifersuchtsgeschichte und eine Liebesgeschichte gibt es natürlich auch. Schon damals war für Veit Helmer ein Film mit Dialogen zu wenig Kino.

Eine Erzählung ohne Dialoge erfordere auch vom Publikum viel mehr Aufmerksamkeit, das war und ist sein Motto und er versucht stets, alle im Kinosaal mitzunehmen. Ohne Dialoge standen und stehen ihm auch alle Schauspieler und Schauspielerinnen zur Verfügung, ungeachtet ihrer Nationalität und ihrer Sprachkünste. Schon in Tuvalu wählte Helmer einen internationalen Cast. Er besetzte einen Franzosen, eine Rumänin und eine Tatarin. Die Möglichkeiten waren grenzenlos. Aber Helmer zog es doch immer wieder in den Osten. Die Drehorte von Tuvalu fand er damals in Bulgarien. Nach Absurdistan (2008), den er in Aserbaidschan, oder nach Baikonur (2011), den er in Kasachstan drehte, folgt jetzt Gondola, dessen Drehort, unschwer erkennbar durch die Hausaufschriften, in Georgien gedreht worden ist.

Hier fand Veit Helmer tatsächlich eine Seilbahn, die ihn zu einer Geschichte über zwei Frauen, die sich immer nur begegnen, wenn ihre Gondoln sich auf gleicher Höhe treffen, inspirierte. All die Einfälle, auf die die Beiden kommen, um die Aufmerksamkeit des jeweils anderen zu erlangen, möchte ich gar nicht aufzählen. Sicherlich ist die Form hier für den Spielfilm prägend und die Form bestimmt den Inhalt. Viel passiert da gar nicht. Veit Helmers Liebe zum “Analogen” im Gegensatz zu dem “Digitalen”, den man allgemein den Fortschritt zuschreibt, ermöglicht hier die kurze Begegnung. In einer Moderne, in der Seilbahnen viel schneller fahren würden, würde eine Begegnung, und sei sie noch so kurz, gar nicht stattfinden können.

Zudem es gibt noch den Seilbahnaufseher (Zviad Papuashvili), der die Gondeln in Betrieb hält, und der ist gar nicht erfreut, dass die zwei jungen Schaffnerinnen ihn so schnöde ignorieren. Ganz der Platzhirsch, versucht er es mit den tradiierten Mitteln, um dann ganz wütend auch mal das Spiel der beiden Frauen zu sabotieren. Da Veit Helmer gerne Liebesgeschichten erzählt, die sich aus ihrer Unschuld heraus entwickeln, fügt er der Geschichte noch zwei Kinder hinzu. Ein Junge sucht die Aufmerksamkeit eines gleichaltrigen Mädchens, die ihn erst einmal abweist. Aber auch hier geht es mehr um das Wie, als um das Warum. Helmer bleibt sich treu, auch wenn manche ihm vorwerfen mögen, sich nicht weiterzuentwickeln.

Veit Helmer glaubt mit unbändiger Kraft an diese Magie, die wir Kino nennen, und die sich auch nur dort entfalten kann. Er ist ein Träumer, für den das Stummfilmkino und der Slapstick der frühen Kinojahre die Welt bedeuten. Der magische Raum der engen Gondel weiß er mit Einfällen zu öffnen, die nicht nur der Phantasie Raum geben, sondern die Figuren auch nie in Passivität erstarren lassen. Helmers Figuren in Gondola sind klug und geschickt und gewitzt. Sie tauschen sich nicht nur in Blicken und Gesten aus, sondern sie hämmern und schweißen und man könnte denken, die Gondoln lösen sich von den Seilen und gleiten über die Berge hinweg, so wie sich Iva und Nino das erträumen, aber dann ist es nur die angeregte Phantasie, die hier auf teils absurde Einfälle reagiert. Gondola will das Kino gar nicht ändern, nur einen Raum zum Träumen schaffen.

Eneh

Aus dem Archiv: Interview mit dem Regisseur Veit Helmer zu seinem Debütfilm Tuvalu

Spielfilm Originaltitel: Gondola Regie: Veit Helmer Drehbuch: Veit Helmer Kamera: Goga Devdariani Montage: Iordanis Karaisaridis, Moritz Geiser, Nikoloz Gulua Musik: Malcolm Arison, Sóley Stefánsdóttir Mit Mathilde Irrmann, Nino Soselia, Zuka Papuashvili, Niara Chichinadze, Vachagan Papovian, Luka Tsetskladze, Elene Shavadze, Darejan Geperidze, Nino Pachkoria, Peride Kalandia Deutschland / Georgien 2023 82 Minuten Kinostart: 07. März 2024 Verleih: Jip Film Festivals: Tokio 2023 / Hof 2023 TMDB

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#Filmjahr2024 #Filmkritik #Spielfilm #JipFilm

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Ein Elite-Internat Anfang der 70er Jahre. Das Jahrzehnt ist noch jung. Und doch kann von Aufbruch keine Rede sein. Die Hoffnungen der 60er haben sich zerschlagen. Die verhärteten Strukturen an der fiktiven Barton-Schule lassen für einen Wandel keinen Raum. In dieses Setting setzt der Regisseur Alexander Payne (Sideways) und sein Drehbuchautor David Hemingson, drei Figuren, die hier das Alte, das Vergangene und die Verletzungen der Vergangenheit zurücklassen und sich neu orientieren werden. Es ist das Schauspiel dieser drei Figuren, das den Film über sein Setting, eben die Verortung in den 70er Jahren, hervorheben wird. Dabei ist The Holdovers zum Teil Weihnachtskomödie, zum Teil Gesellschaftsstudie. Komik und Trauer gehen hier Hand in Hand. Dazu ruft Payne eine gehörige Dosis Wehmut und Nostalgie hervor.

Zuerst sollte man den Filmtitel erklären. The Holdovers heißt so viel wie “die Zurückgelassenen”. Es ist Winter, die Weihnachtsferien stehen an. Nicht alle Schüler dürfen oder können in den Ferien nach Hause fahren. Es ist eine Schule für privilegierte Jungen, sowie die Staaten auch eine Gesellschaft für privilegierte Männer sind. Frauen sind hier, gemäß der Zeit, Objekt der Begierde, Mütter und Servicekräfte. Ein Lehrer wird stets ausgewählt, der vor Ort bleibt und eine Art Beschäftigungsplan durchzieht. Die Wahl vom Kollegium fällt auf den misanthropischen Paul Hunham (Paul Giammati), den eh niemand leiden kann. Weder die Schüler noch die Kollegen. Hunham hat sich zu sehr in seine Existenz als Lehrer ohne Achtung eingeigelt, als dass ihn die Sticheleien erreichen würden. Er lehrt, auch nicht ganz zufällig, die Geschichte des Römischen Reiches und seine Strenge, gepaart mit einer Freude, die zukünftige Elite der amerikanischen Gesellschaft ob ihrer Fehler abzustrafen, macht ihn berüchtigt. Es ist sicherlich nicht unbeabsichtigt, dass wir in diesen Schülern und ihrer Haltung die wiedererkennen, die heute die USA politisch lähmen.

Aus der Schar der Zurückgebliebenen, die nach und nach aus der Erzählung fallen, sobald sie ihre dramaturgische Funktion erfüllt haben, sticht ein Junge heraus. Angus Tilly ist der Exzentriker unter den Schülern und ihn trifft das Schicksal doppelt, als er nicht doch noch aus der Ferienstarre befreit wird. Seine Rolle wurde sehr gut besetzt mit Dominic Sessa. Auch er ist ein Internatsschüler, der sich für diese seine erste Rolle beworben hatte. Angus und Hunham sind Spiegelbilder ihrer selbst. Hunham erkennt sich in dem Jungen wieder und dem Jungen fehlt es an einer Vaterfigur, die er immer mehr in Hunham erkennt.

Die dritte Figur ist auch eine Zurückgelassene. Mary Lamb (Da'Vine Joy Randolph) ist Köchin in dem Internat. Sie hat die Stelle an der Schule nur angetreten, um ihrem Sohn die Möglichkeit zu geben, durch ein Stipendium eine gute Ausbildung zukommen zu lassen. Er durfte Schüler an dem Internat für die gehobene Klasse und die Gutverdienenden sein. Doch er ist es, der im Vietnam-Krieg gefallen ist und der bereits aus dem Gedächtnis der Mitschüler gelöscht wurde.

Diese drei Figuren sind eng in das Korsett der 70er geschnürt. Doch es ist ihre Darstellungskunst, die hier noch über dem Regietalent Payne herausragt und den Film, der sich zu sehr auf sein Setting verengt, die ihn sicherlich zum Klassiker machen wird. Eine Oscar-Nominierung für Paul Giamatti galt bereits früh als ausgemacht. Die stille Trauer der Mary Lamb brachte Da'Vine Joy Randolph, bekannt aus der Fernsehserie Only Murders in the Building und z.B. dem Film The United States vs. Billie Holiday, eine Nominierung als beste Darstellerin in einer Nebenrolle ein. Dominic Sessa ist ein unbeschriebenes Blatt. Bisher besuchte er die Deerfield Academy, eine der Schulen, die nicht so modern aussehen und darum als Drehort verwendet worden war. Zuvor spielte er mit Begeisterung am Schultheater. Für sein Spiel in The Holdovers setzte ihn das Branchenblatt Variety prompt in die Liste der “10 Actors to Watch”. Zurecht.

Alexander Payne wollte nicht nur einen Film drehen, der in den 70ern spielt, er sollte auch so wirken, als wäre er in den 70ern gedreht worden. Die 70er, die auch sein filmisches Coming-of-Age verorten, sollten nicht nur in Ausstattung und Kostüm lebendig werden, sondern auch den Zeitgeist der Figuren und ihrer Entwicklung widerspiegeln. Einer Zeit, in dem der junge amerikanische Film auf Geschichten von authentischen Figuren setzte, statt auf Action und Attitude. Für Payne sollte The Holdovers eine Art Zeitkapsel in diese Vergangenheit sein. Dabei stand ein viel älterer Film Pate. Das war Marcel Pagnols Merlusse (1935), über einen Lehrer, der die Weihnachtsferien mit seinen Schülern an einem Internat verbringt und diese besser kennen lernen wird.

Paul Giamattis Lehrerfigur ist kein Sympathieträger, er ist sogar in Statur und Haltung eher lächerlich. Und doch geht er einem irgendwann zu Herzen. Das gleiche gilt für den aufsässigen Widerpart in dem jungen Schüler Angus Tilly. Seine Leck-mich-am-A-Haltung wird nach und nach aufgebrochen. Mary Lamb ist eine Figur, der man das andere Amerika aufgebürdet hat, die als schwarze, alleinerziehende Frau auch noch alles verliert, man spürt ihren Schmerz, aber man bemitleidet sie nicht.

The Holdovers ist Kino aus einer Zeit, in der alles im Stillstand verharrte, wenn nicht sogar sich zurückwendete. Alexander Payne nimmt das Beste aus der New Hollywood-Zeit und versucht in dieser Zeit, die auch vom Stillstand und der Rückwende in eine schlechtere Zeit geprägt ist, dem Mainstream-Kino einen Impuls zu geben. Das ist ihm vielleicht nicht ganz gelungen. Aber seine Figuren werden bleiben.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: The Holdovers Regie: Alexander Payne Drehbuch: David Hemingson Kamera: Eigil Bryld Montage: Kevin Tent Musik: Mark Orton Mit Paul Giamatti, Dominic Sessa, Da 'Vine Joy Randolph, Carrie Preston, Andrew Garman, Tate Donovan, Gillian Yigman USA 2023 133 Minuten Kinostart: 25. Januar 2024 Verleih: Universal Festivals: Telluride 2023 / Toronto 2023 / Viennale 2023 TMDB

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#Filmjahr2024 #Filmkritik #Spielfilm #Universal

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Eine Familie sitzt im Flieger. Der Flug bringt sie nicht in die Ferien. Green Border, der aktuelle Film der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland (Hitlerjunge Salomon, zuletzt: Charlatan), begleitet ihre Akteure von der Kriegshölle in Syrien in eine ebenso brutale Hölle, in das Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen.

Lukaschenko, belarussischer Staatsoberster, hatte den Flüchtenden aus Syrien und Afghanistan den Weg von Belarus nach Polen schmackhaft gemacht. Eine Provokation des Westbündnisses unter der Prämisse, dieses zu schwächen. Der Białowieża-Wald, ein Urwald mitten in Europa, ist hier nun die Bühne für ein zynisches Ping-Pong-Spiel zwischen Grenzlern auf der polnischen und Grenzlern auf der belarussischen Seite. Die hohen Bäume verschlucken die Grausamkeit an dieser Grenze, die nicht nur das Grün, sondern alle Farbe verloren hat. Hier werden die Reisenden zum Spielball der politischen Mächte. Menschenrechte gelten hier nichts. Die EU zeigt sich hier als Festung, die nicht gewillt ist, von ihrem Reichtum etwas abzugeben.

Mutter, Vater, 3 Kinder, darunter ein Kleinkind, dazu noch der Großvater, sie sind auf der Reise zu Verwandten in Schweden. Alles ist gut geplant und die Schleuser bezahlt. Schweden ist weit, zuerst müssen sie das gelobte Land, die Europäische Union erreichen. Agnieszka Holland wählt immer wieder individuelle Schicksale und ordnet sie in einen größeren Kontext ein. Filmisch nimmt sie sich nicht zurück.

Ihr Green Border ist ihr ein Anliegen, das sie mit Laiendarstellern, die diese Hölle selbst kennen, inszeniert hat. Kino, das soll aufrütteln. Weltpremiere feierte ihr Film auf dem Festival in Venedig. In ihrem Heimatland Polen reagierte die, inzwischen ehemalige erste Riege des Staates mit einer Rufmordkampagne. Obwohl man zu dem Zeitpunkt, den Film noch gar nicht hatte sehen können, galt sie als Vaterlandsverräterin, die ihren Film mit faschistischer Propaganda versetzt hätte.

Ihr Urteil zu den Praktiken an der Grenze und der Europäischen Abschottung ist vernichtend. Green Border ist ein Herausbrüllen von Missständen, vor denen man, besonders mit privilegiertem EU-Mitgliedsstaatenpass gerne die Augen verschließt. Green Border schont das Publikum nicht. Die Lauflänge ist kaum auszuhalten, dabei sitzt man im sicheren Kinosessel und nicht auf dem nackten Waldboden. Man ist nicht am verdursten und muss ansehen, wie militarisierte Kräfte das vom letzten bißchen gekaufte Wasser vor einem ausschütten.

Die Familie schafft es tatsächlich die Grenze zu überwinden, landet in Polen, nur um dort aufgegriffen, und zurück nach Belarus gestoßen zu werden. Diese “Push-Backs” sind illegal, aber die Regel. Auf Verunsicherung folgt beim zigten Hin-und-Her die Entkräftung. Ist es zuerst Unverständnis, bangt man irgendwann um das nackte Leben. Resignation macht sich breit. Agnieszka Holland wechselt zweimal die Perspektive. Sie zeigt junge polnische Grenzsoldaten, die von ihren Ausbildern indoktriniert werden, dass sie ihr Land vor Terroristen und Vergewaltigern schützen müssen. Die, die da über die Grenze kommen, mögen harmlos erscheinen, aber sie gefährden die polnische Gesellschaft. Von Parolen aufgepeitscht und fest im Drill agieren sie ohne eine Unze Barmherzigkeit.

Es sind Protestgruppen, die zu helfen versuchen, soweit das legal möglich ist. Aktivisten und Aktivistinnen fahren in die Wälder, klären die Flüchtenden darüber auf, wo sie gelandet sind. Viel mehr können auch sie nicht tun. Holland spart nicht mit Hoffnung. Ein junger Soldat fühlt sich sichtbar unwohl in seiner Rolle. Splittergruppen von Aktivisten und Aktivistinnen loten den schmalen Pfad, was noch erlaubt ist, aus und übertreten diesen. Gerade dieser Schwenk auf diese andere Seite verstärkt das Gefühl der Ohnmacht und ruft nach einem Aufbegehren gegen diese Missstände. Dass es auch anders geht, das ist ein Epilog, den Holland setzt, obwohl er nicht unproblematisch ist. Dass wir Europäer Flüchtende unterschiedlich werten und dem einen helfen, während wir andere wortwörtlich verrecken lassen, ist eine bittere Erkenntnis. Wofür die, die dies betrifft, so gar nichts können. Was dieser Schwenk von 2021 auf 2022 jedoch auch aussagt, ist, dass die Flüchtenden nicht zwingend aus der Ferne kommen.

Im Aufbau ist Green Border streng gesetzt. Die Wahl, diese Hölle in schwarz-weißen Bildern zu zeigen, gibt dem Geschehen eine noch dringlichere Note. Gleichzeitig gibt es der Handlung auch eine Zeitlosigkeit. All das könnte auch aus einem Film über den I. oder II. Weltkrieg stammen. Das, was wir jetzt geschehen lassen, lastet aber an unseren Händen. Auch das zeigt Agnieszka Holland und sie will uns das Wegsehen austreiben. Bei den 80. Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2023 gewann Agnieszka Holland den Spezialpreis der Jury.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Green Border Regie: Agnieszka Holland Drehbuch: Maciej Pisuk, Gabriela Łazarkiewicz-Sieczko, Agnieszka Holland Kamera: Tomek Naumiuk Montage: Pavel Hrdlička Musik: Frédéric Vercheval Mit SJalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Tomasz Włosok Polen / Frankreich / Belgien / Tschechien 2023 153 Minuten Kinostart: 01. Februar 2024 Verleih: Piffl Medien Festivals: Venedig 2023 / Toronto 2023 / Zürich 2023 TMDB

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#Filmjahr2024 #Filmkritik #Spielfilm #PifflMedien #Venedig2023

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Seit kurzem ist Blaga (sehenswert intensiv: Eli Skorcheva) Witwe. Für ihren Mann, er war Polizist von Beruf, will sie einen würdigen Grabplatz erstehen und sie hat auch schon eine ganz genaue Vorstellung, wie das Grab aussehen soll. Der Platz soll auch bald ihre repräsentative Ruhestätte werden. Sie ist bereit ihr ganzes Geld da reinzustecken.

Wie schwierig dieser Plan umzusetzen ist, auch davon handelt Eine Frage der Würde von Stephan Komandarev (Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, 2009), der zeigt, dass der äußere Schein selbst auf dem Friedhof nur durch Korruption erkauft werden kann. Urotcite na Blaga, so der Originaltitel, ist der Abschluss einer Trilogie, die nach Directions – Geschichten einer Nacht (2017) und V krag (International: Rounds, 2019) hiermit ihren Abschluss findet. Komandarev zeichnet mit diesen drei Filmen ein Bild der sozialen und gesellschaftlichen Lage im heutigen Bulgarien.

Die ehemalige Lehrerin hält sich mit Nachhilfestunden über Wasser. Zurzeit hat sie nur eine einzige Schülerin (Rozalia Abgarian), eine junge Frau aus Syrien, die für ihre Einbürgerungsprüfung paukt.

Zur Etablierung der Figur lernen wir Blaga in ihrem Element kennen. Sie lehrt Praxis orientiert und effektiv. Sie reagiert auf Fehler und grammatikalische Regelverstöße streng und gnadenlos. All dies sind Eigenschaften, die sie kaum sympathisch machen. Die auf ihre Stärken und gleichzeitig ihre Schwächen verweisen. Denn im handfesten Alltag hatte sie sich immer auf ihren Mann verlassen, doch nun kommt sie zu Fall. Dass die Welt keine gute ist, ist ein Allgemeinplatz. Blaga wird jedoch all ihres Ersparten und ihrer Würde beraubt. Über das Telefon. Es ist die Trickbetrüger-Masche mit dem Anruf eines vermeintlichen Kriminalbeamten, der sie anweist, bei der Überführung von Dieben mitzuwirken. Dafür braucht es aber ihren monetären Einsatz. Geld, dass sie selbstverständlich zurückbekommen würde. Von wegen.

Es ist kein Zufall, dass der Film in der ostbulgarischen Stadt Schumen spielt. Zu den Sprachlektionen erhält die junge Schülerin auch einen Einblick in die Landeskunde und ihren Heldengeschichten, die direkt an das Publikum weitergereicht werden. Es heißt, dass Bulgarien von hier aus entstanden sei. Die realsozialistische Architektur der Stadt korrespondiert folglich mit der Handlung. Täglich läuft die alte Frau, immerhin schon jenseits der 70, die unzähligen Stufen hinauf zum Denkmal für “1300 Jahre Bulgarien”, dem wohl Größten dieser brutalistischen Gedenkbauten. Es geht bis auf 300 m in die Höhe. Die ganze Stadt ist von dort oben überschaubar, das Denkmal ist bis aus 30 km Entfernung zu sehen. Das Monument feiert jede wichtige Person der bulgarischen Geschichte. Es ist ein Monster von einem Bau und wirkt herrisch mit der Tendenz ins Böse. Wie klein dagegen ist Blaga. Aber sie lässt sich nicht klein machen.

Die bulgarische Einreichung für die internationale Filmauswahl bei den Oscars (er wurde allerdings nicht nominiert), der seine Weltpremiere in Karlovy Vary feierte und auch auf dem Filmfest Hamburg gezeigt wurde, wählte für den internationalen Markt den Titel Blaga's Lessons. Es bleibt eine Frage der Interpretation, ob es wichtiger ist, dass Blaga hier ihren Mitmenschen Lektionen erteilt oder ob ihr solche zuteilwerden.

Treffender ist der deutsche Titel. Dieser lautet Eine Frage der Würde und hebt genau diese hervor. Was ist der Mensch wert in einem kaputten System? Wie kann Blaga ihre Würde verteidigen? Es ist die Stärke des Films, dass diese Frage ambivalent beantwortet wird. Dabei schönt die Geschichte nichts. Das Drehbuch dekliniert einen aussichtslosen Kampf konsequent bis zum Ende und demaskiert dabei auch jede vermeintliche Attitüde.

Unbekannte haben Blaga nicht nur ihr Geld gestohlen, sondern auch ihren guten Ruf. Wie konnte sie nur auf diese Masche hereinfallen? Blaga, die anderen stets ihre Fehler vorhielt, muss nicht nur ihr Weltbild überdenken. Sie hat nichts mehr zu verlieren und wagt einen abseitigen Weg.

Sie setzt eine Anzeige auf, bietet sich als Kurierfahrerin an, und wird tatsächlich von den Schurken kontaktiert, die sie ausgeraubt hatten. Mehr soll gar nicht verraten werden. Blaga ist keine Heldin. Es geht Komandarev und seinem Co-Drehbuchautor Simeon Ventsislavov sichtlich nicht um die Erlösung von dem Bösen und der Überführung seiner Täter. Er zeichnet ein Porträt einer Frau in einem System, das jeden kaputt macht. Auch moralisch. Blaga wähnt sich als gute, aufrechte Bürgerin, die stets das Richtige und das Rechte tut. Das Leben lehrt sie eines Besseren.

Eine Frage der Würde wandelt sich vom gesellschaftlichen Porträt hin zu einem Krimi. Dabei ist es besonders das Schauspiel der Hauptfigur, was heraussticht.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Urotcite na Blaga Regie: Stephan Komandarev Drehbuch: Simeon Ventsislavov, Stephan Komandarev Kamera: Vesselin Hristov Montage: Nina Altaparmakova Musik: Kalina Vasileva Mit Eli Skorcheva, Gerasim Georgiev, Rozalia Abgarian, Ivan Barnev, Stefan Denolyubov, Ivaylo Hristov Bulgarien / Deutschland 2023 114 Minuten Kinostart: 25. Januar 2024 Verleih: Jip Film Festivals: Karlovy Vary 2023 / Sarajevo 2023 / Hamburg 2023 TMDB

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#Filmjahr2024 #Filmkritik #Spielfilm #JipFilm #Hamburg2023

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Bella Baxter (Emma Stone) ist das arme Wesen, dass erst lernen muss, Besteck zu gebrauchen. Wie eine Ente watschelt sie durch das Herrenhaus ihres Ziehvaters, Dr. Godwin Baxter (Willem Dafoe). Der heißt nicht zufällig so. Er trägt den Schöpfer, Gott, im Namen, und ist entstellt, während sie die Schöne und die Unschuld ist. Nur eben noch ganz un-erzogen und Kind-gleich.

Dennoch lebt dieses Wesen im Körper einer erwachsenen Frau. Trotz einer Kamera, die hier zu Beginn einen subjektiven, wenn nicht gar verzerrten Blick auf den Raum gibt, der hier zum Ausgangspunkt von Bella Baxters Geschichte wird, bemerkt man, dass so einiges seltsam ist. Als hätte man Körperteile auseinandergenommen und sie nicht wieder “richtig” zusammensetzen können. Doch in der Veränderung liegt der Schlüssel zu neuen Erkenntnissen. Bella ist sich zuerst nur “Gott” bewusst, der sie, zugegeben mit viel Hingabe und auch Zärtlichkeit, zu erziehen trachtet. Dafür holt er auch einen Assistenten (Ramy Youssef) ins Haus, der ihre Entwicklung minuziös protokollieren soll.

Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos galt 2009 mit seinem Film Dogtooth als Entdeckung. Mit The Lobster, Untertitel Hummer sind auch nur Menschen, eine skurrile Verwandlungsfantasie, etablierte sich Lanthimos im Arthouse-Bereich. Weit zugänglicher war sein Porträt von Queen Anne in The Favourite – Intrigen und Irrsinn, der Humor mit Traurigkeit (oder umgekehrt) zu verbinden wusste. Neben zahlreichen Auszeichnungen konnte The Favourite in seinem Jahrgang fast alle Europäischen Filmpreise für sich verbuchen. Bereits hier hatte Lanthimos Emma Stone eine Nebenrolle gegeben. Dass weit mehr in ihr steckt, beweist sie mit Poor Things. Womit Lanthimos für Emma Stone wohl genauso gern ein Dr. Baxter wäre.

Emma Stones Bella, ein frankensteinisches Geschöpf, saugt Wissen auf, wie ein verdorrter Schwamm. Vor unseren Augen erstrahlen ihre Augen, wann immer sie etwas entdeckt. Abgeschottet von der Welt, will sie hinaus aus dem Herrenhaus. Einmal hinausgekommen, kann man sie nicht mehr halten.

Mitnichten begnügt sie sich mit einem Assistenten. Sie lernt den Lebemann Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) kennen und brennt mit ihm durch. Noch ein Mann, der sie formen will nach seinem Ermessen und noch ein Mann, dessen Fassade sie einreißt, dessen Charakter sie entlarvt und den sie an sich selbst zerbrochen zurück lassen wird.

Konventionen und Gepflogenheiten, die guten Sitten und die Regeln des Zeitalters, hier die Viktorianische Zeit, gelten aus der Sicht eines Wesens, das frei von all diesen Hemmschuhen sich aus sich heraus entwickelt hat, nichts. Das darf man sich mal vorstellen. Natürlich entdeckt sie auch ihren Körper. Und was man damit anstellen kann. Und sie hat Freude daran. London hat sie da schon längst verlassen und nachdem sie über die Meere geschippert ist, landet sie dort, wo böse Mädchen weiterkommen. Es ist ein Spaß.

Yorgos Lanthimos hat sich für Poor Things das Buch des Schottischen Autors Alasdair Gray vorgenommen. Sein Roman Arme Dinger: Episoden aus den frühen Jahren des schottischen Gesundheitsbeamten Dr. med Archibald McBandless, ursprünglich 1992 veröffentlicht und 2000 auch auf Deutsch übersetzt, ist die Vorlage, aus der Lanthimos zusammen mit dem australischen Drehbuchautoren Tony McNamara, der auch schon für The Favourite verantwortlich war, dem Kanon der Frankenstein-Adaptionen ein neues Kapitel hinzufügt.

Bella weiß zuerst nichts von ihrer Herkunft. Aber Herkunft ist hier nur ein weiterer Puzzlestein im großen Ganzen. Bella auf ihrer Reise zur Selbstermächtigung und Erkenntnis zu begleiten ist das eine. Poor Things, den man gerne mehrmals anschauen möchte, um mehr und mehr der Referenz- und Zitat-Kaskaden einfangen zu können, handelt von der Lust an der Erforschung und der Freunde am Wissen. Das ist in einer vermehrt wissensfeindlichen Mainstreamzeit schon mal außergewöhnlich. Poor Things funktioniert als Komödie genauso gut, wie auf der Metaebene, die die Vorlagen aufgreift und das Publikum damit anlockt.

Aber machen wir uns nichts vor. Es ist ein männlicher Blick, der hier Bella Baxter ein- und vorführt. Bella hält in ihrer offenen und ehrlichen Art und ohne Worte zu verklausulieren den anderen Figuren zwangsläufig den Spiegel vor. Das filmische Geschöpf aus Vorlage, Umsetzung und Inszenierung wiederum sollte nun uns den Spiegel vorhalten. Nur Bedenken kommen hier nicht auf. Wissen ist Lust, Lust ist gut. Bella optimiert sich ohne auch nur einmal auf die Bremse zu treten. Da lässt der Film keinen Raum mehr übrig, etwas Zweifel ist also schon angebracht.

Poor Things feierte seine Premiere 2023 auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig und gewann dort prompt den “Goldenen Löwen” als besten Film. Seitdem sammelt auch dieser Film in allen darstellerischen als auch künstlerischen Gewerken die Preise ein. Damit gilt Poor Things als einer der besten und wichtigsten Filme des Kinojahres 2023 mit hohen Chancen für eine Nominierung am 21. Januar 2024 auf den vordersten Plätzen bei den 96. Academy Awards, die am 10. März 2024 verliehen werden.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Poor Things Regie: Yorgos Lanthimos Drehbuch: Tony McNamara Vorlage: Alasdair Gray Kamera: Robbie Ryan Montage: Yorgos Mavropsarides Musik: Jerskin Fendrix Mit Emma Stone, Mark Ruffalo, Willem Dafoe, Ramy Youssef, Christopher Abbott, Suzy Bemba, Jerrod Carmichael, Kathryn Hunter, Vicki Pepperdine, Margaret Qualley, Hanna Schygulla Großbritannien / Irland / USA 2023 142 Minuten Kinostart: 18. Januar 2024 Verleih: Walt Disney Studios Festivals: Telluride 2023 / Toronto 2023 / Viennale 2023 TMDB

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#Filmjahr2024 #Filmkritik #Spielfilm #WaltDisneyStudios

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Ob Rock'n'Roll, Rock oder Pop, die Musikbranche lebt vom Skandal.

Elvis Presleys Hüftschwung erregte in den 50ern die Gemüter. Jimi Hendrix verbrannte in den 60ern seine Gitarre auf der Bühne, die Sex Pistols galten in den 70ern an sich schon als Skandal. Ihr Song God Save The Queen spaltete das Heimatland Großbritannien. Es war in den 80ern, als Ozzy Osbourne auf der Bühne einer Fledermaus den Kopf abgebissen hatte. Sicherlich, es gibt positive Skandale und negative Skandale. Skandale, die eine Band oder eine Performance cooler machen und Skandale, bei denen man heute “canceln” würde.

John Lennon könnte ein Lied davon singen. Als er die Beatles für populärer als Jesus benannte, in den USA wohl gemerkt, da war aber die Hölle los. Madonna war auf Skandale abonniert. Sie brachte nicht nur die prüde Kirche gegen sich auf. Dieses Jahr hatte der Berliner Radiosender Radioeins in seiner Sommersonntagsreihe nach den 100 skandalösesten Songs gefragt. Die Sex Pistols gewannen mit God Save The Queen und Milli Vanillis Girl You Know It's True erreichte nur den 47ten Platz. Der Skandal um Milli Vanilli ist also mitnichten der größte in der Popgeschichte.

Eigentlich ist es ein Skandal, dass eine Inszenierung eines Acts wie Milli Vanilli mit den beiden Tänzern Fab Morvan (Elan Ben Ali) und Rob Pilatus (Tijan Njie) überhaupt erst ein Skandal werden konnte. Hat denn niemand richtig hingehört? Wer Playback spielt, weicht doch keine Unze von dem eingespielten Track ab. Ist das denn niemandem aufgefallen bei den Konzerten?

Oder die Tatsache, dass die Zwei zwar akzentfrei singen, aber keine Unterhaltung führen konnten, das kann man doch nicht nicht-merken. Das amerikanische Publikum fühlte sich jedoch betrogen, der Hype legte den Rückwärtsgang ein, und man gab diesem Gefühl mit der Dampfwalze ein Ventil. Es war sicherlich auch das damals junge Medium MTV, dass die attraktive Band in jeden Haushalt gebracht hatte. Ein Skandal ist wahrscheinlich eher, wie die zwei von Milli Vanilli von der Branche ausgepresst und vermarktet wurden. Waren sie wirklich so naiv zu glauben, dass sie den Erfolg, den sie als Tänzer erreichten, auch mit ihrem Gesang hätten reproduzieren können?

Simon Verhoeven nutzt das Etikett Skandal, gerne auch mit dem Hinweis auf Superlative, um die Band aus der Versenkung zu holen. Dabei stellt er schon die richtige Frage: Waren die zwei von Milli Vanilli nicht doch eher die Opfer? Durch einen Trick erzählen sie uns ihre Geschichte selbst.

Als Klammer durchbrechen die Beiden die vierte Wand und erzählen uns damit die Ereignisse aus ihrer eigenen Sicht, auch mit dem Hinweis, dass man sie ja gar nicht mehr kennen würde. Dabei gibt es nur einen kleinen Schönheitsfleck. Rob Pilatus, und damit verrate ich ja nichts, zerbrach an dem Erfolg und an dem Niedergang des Erfolges. Er kann seine Geschichte nicht mehr selbst erzählen. Fabrice Morvan könnte es, darf es aber nicht. Er verkaufte die Rechte an seiner Geschichte an die Produktionsfirma von Bret Ratner, der in Folge von Vorwürfen der sexuellen Belästigung von der filmwirtschaftlichen Landkarte verschwand und damit auch seine entsprechenden Filmprojekte.

Was war denn passiert? Laut Verhoevens Drehbuch beschränkten sich die Ambitionen der beiden Tänzer, die von Frank Farian gecastet wurden, nicht darauf, nur die Lippen zu bewegen. Sie wollten höher hinaus, sich selbst verwirklichen, raus aus der Provinz, raus aus Deutschland. In der großen weiten Welt war aber auch das Fischbecken größer und fortan diktierte ihnen nicht nur der Produzent im fernen Deutschland, was sie zu tun und zu lassen hätten.

Milli Vanilli wollten eine eigene Platte mit eigenen Songs. Bei einem Konzert flogen sie theoretisch auf. Das Playbackband kam ins Stottern. Ops. Doch damit war ihre Karriere noch nicht am Ende. Erst als Frank Farian die Bombe platzen ließ, dass alles nur ein Fake war, dass ganz andere Sänger den Song eingespielt haben, da trat er eine Lawine los, die den beiden Milli Vanillis den Boden unter den Füßen wegriss. Und das ist auch die Moral der Geschichte. Vertraue niemandem, und wenn du auffliegst, dann schiebe die Verantwortung ab. “Blame It On The Rain” quasi.

Ja, die Musikbranche lügt. Nicht nur diese. Junge Acts wurden schon immer übers Ohr gezogen. Wie man es anders als Fab Morvan und Rob Pilatus machen kann, zeigt Girl You Know It's True auch, aber viel versteckter.

Es könnte auch der Film über Numarx sein. Bitte wer, bitte was? Numarx waren eine US-amerikanische Hip-Hop-Band aus Baltimore und sie hatten den Song ursprünglich geschrieben. Frank Farian “klaute” den Song und Milli Vanilli haben ihn dann gecovert. Während die eine Band nun in Saus und Braus lebt und weltweit gefeiert wird, gucken die Jungs von Numarx blöd aus der Wäsche und erfahren quasi erst via MTV von dem Siegeszug ihres Songs. Woraufhin Numarx-Mitglied Kevin Liles (gespielt von Stevonté Hart) sich hinter die Bücher klemmt, sich in Sachen Urheberrecht schlau macht (ganz dröges, kompliziertes Zeug und überhaupt nicht cool) um die rechtlichen Möglichkeiten auszuloten. So macht man das.

Liles blieb scheinbar auf der Schiene und machte Karriere in den höchsten Kreisen bei Def Jam Recordings und der Warner Music Group. Das Billboard Magazine kürte ihn 2020 sogar zum “R&B/Hip-Hop Executive of the Year”. Bei Verhoevens Girl You Know It's True fungierte er dann auch als Executive Producer.

Taugt denn Girl You Know It's True als Film etwas? Sicherlich hängt das davon ab, was man erwartet. Es ist ein Flashback in die 80er, an die man sich doch nicht bis ins Detail erinnert. (Hat man damals wirklich noch Bluna getrunken?)

Die beiden Darsteller Elan Ben Ali und Tijan Njie sind exzellent gecastet und von der Choreographie lebt dann auch der Film. Das sieht einfach klasse aus. Matthias Schweighöfer gibt den berühmt, berüchtigten Produzent Frank Farian und da Farian eh fast eine Karikatur seiner selbst ist, überzeugt Schweighöfer mit vermeintlicher Zurückhaltung.

Sicherlich, Verhoeven strebte ein Publikumsfilm an und er war sich sicherlich bewusst, dass er eine Altersgruppe in die Kinos locken möchte, die Milli Vanilli, wenn sie denn für sie ein Begriff sind, eher nur als oberpeinliche Nummer der Elterngeneration wahrnehmen. Die Biographien der beiden Tänzer vermittelt er nur über ein paar wenige Eckdaten. Die Chemie zwischen den Beiden ist auch nicht wirklich erkennbar. Für die Unterhaltung werden Szenen auf ihr Potential für Komik abgeklopft. Die Musikindustrie selbst ist der pure Moloch.

Eine Auseinandersetzung oder gar Kritik an den Strukturen bleibt hier aus. Es bleibt bei den Schauwerten.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Girl You Know It's True Regie: Simon Verhoeven Drehbuch: Simon Verhoeven Kamera: Jo Heim Montage: Felix Schmerbeck, Alexander Berner, Elena Schmidt Musik: Segun Akinola Mit Tijan Njie, Elan Ben Ali, Matthias Schweighöfer, Bella Dayne, Graham Rogers, Tijan Marei, Ashley Dowds, Thomas Bading, Ulrike Arnold, Ben Felipe, Joshua Kantara, David Mayonga, Nico Ehrenteit, Samuel S. Franklin, Sebastian Kempf, Penelope Frego, James Flynn, Michael Mertens, David Baalcke, Ikko Masuda, Cornell Adams, Ivy Quainoo, Roxanne Rittmann, Lina Maruyama, Mitsou Jung, Bonita Lubliner, Lara Mandoki, Eva Nürnberg, Caprice Crawford, Romeo Guy Da Silva, Natasha Loring, Darlene Tejeiro Deutschland / Frankreich / USA 2023 124 Minuten Kinostart: 21. Dezember 2023 Verleih: Leonine TMDB

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#Filmjahr2023 #Filmkritik #Spielfilm #Leonine

© Eneh

L.o.l.a. ist eine Maschine. Genauer gesagt: L.o.l.a. ist eine Zeitmaschine. Sie wurde von den Schwestern Hanbury konstruiert.

Nach dem Tod der Eltern leben Thomasina (Emma Appleton) und Martha (Stefanie Martini) allein in einem Landhaus und sind sich selbst genug. Und dann ist da noch “Lola” oder auch L.o.l.a. Die Maschine besteht aus einer großen aufgehängten Platte, auf der man Bilder empfangen kann.

Unterhaltungssendungen aus der Zukunft entfachen plötzlich mitten im Weltkrieg die David-Bowie-Manie bei ihren Erfinderinnen. Doch was zuerst Vergnügen bereitet, bedeutet alsbald Verantwortung von den Beiden. Der Krieg fordert seinen Tribut, Luftgeschwader der Deutschen bedrohen auch die Zivilbevölkerung. Mit Hilfe der Zeitmaschine wissen die Schwestern, wann und wo es zu Angriffen kommen wird. Rechtzeitig übermitteln sie Warnungen via Funk.

Es heißt aber nicht von ungefähr, dass man sich bei Zeitreisen nicht in den Verlauf der Geschichte einmischen sollte. Jetzt ist die Implikation, wie die Zukunft verlaufen wird, für die Schwestern nur eine wage Möglichkeit, die ihnen bis zu einem gewissen Punkt nur Vergnügen bereitet hat.

Das Drehbuchteam von Regisseur Andrew Legge und Angeli Macfarlane bindet das Wissen des Publikums über den Verlauf des II. Weltkrieges und der Pop-Geschichte der Nachkriegszeit mit ein. Ohne zuerst zu wissen, inwiefern sich die Zukunft durch ihre Einmischung verändert, fuschen sie der Weltgeschichte “as wie know it” gehörig ins Handwerk. So sehr, dass sie zwar anfangs Menschenleben retten, aber Großbritannien mehr und mehr den Krieg zu verlieren droht.

Es kommt noch ärger: Insbesondere Thomasina verfällt ihrer Maschine und ihr gefällt die Macht, die sie erlangt. Andrew Legge versucht sein Gedankenexperiment, das visuell aufwendig gestaltet wurde und wahrlich fasziniert, hier auf einen philosophischen Kurs zu bringen. Ab wann verliert man die Kontrolle über das, was man tut, und ab welchem Punkt verliert man den ethischen und den moralischen Kompass? Was ist eine Zukunft wert, wenn es Stanley Kubrick, Bob Dylan und David Bowie so nie gegeben haben wird? Wenn alle Popsongs lyrisch stattdessen feuchte Nazi-Träume bedienen?

Lola ist als Mockumentary aufgezogen. Zum einen drehte das Filmteam über weite Strecken mit einer Bolex 16 mm, damit alles so aussieht, als wären wir wirklich in den 40er Jahren. Jede Menge Found Footage wurde erstellt. Handfestes Archivmaterial wurde mit eingebunden und teilweise verfremdet und es passt höllisch genau.

Andererseits bricht das Material auch immer wieder den Erzählfluss. Legge variiert hier einen seiner Kurzfilme. In The Chronoscope von 2009 hatte er einen Wissenschaftler erfunden, der mit einer Maschine in die Vergangenheit schauen konnte. Was Andrew Legge aber auch ausklammert, ist, dass seine alternative Wirklichkeit eigentlich mehr als ein paar handelnde Figuren haben müsste. Er konzentriert sich auf die Maschine und die beiden Schwestern. Es gibt keine Bevölkerung im Widerstand. Es gibt scheinbar überhaupt keinen Widerstand.

Die Ereignisse bedrohen schließlich auch das Schicksal der Schwestern. Eine Figurenentwicklung aus sich selbst heraus bleibt halbherzig. Eine angedachte Romanze überzeugt wenig. Dass ausgerechnet eine queere Figur auf die falsche Seite geraten könnte, verärgert sogar ein bisschen. Dass angedachte Fragestellungen nach der Wichtigkeit von Kultur und Wissenschaft irgendwann zugunsten von Spionage-Allerlei und Actionszenen vernachlässigt werden, ist bedauernswert. Andrew Legge möchte aus der Nummer herauskommen, indem er alle Änderungen rückgängig macht. Alles auf Anfang sozusagen. Nach Zeitreiselogik sollte das aber nur in parallele Wirklichkeiten führen.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Lola Regie: Andrew Legge Drehbuch: Andrew Legge, Angeli Macfarlane Kamera: Oona Menges Montage: Colin Campbell Musik: Neil Hannon Mit Stefanie Martini, Emma Appleton, Hugh O'Connor, Rory Fleck Byrne, Aaron Monaghan, Ayvianna Snow, Philip Condron, Shaun Boylan Irland / Großbritannien 2021 79 Minuten Kinostart: 28. Dezember 2023 Verleih: Neue Visionen Festivals: Hamburg 2023 / Sitges 2023 TMDB

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#Filmjahr2023 #Filmkritik #Spielfilm #NeueVisionen #Hamburg2023 #Sitges2023

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Augusto Góngora ist ein bekannter chilenischer Journalist. Seine Frau Paulina Urrutia ist Schauspielerin (z.B. in Fuga von Pablo Larraín) und war sogar ein paar Jahre lang im ersten Kabinett der Präsidentin Michelle Bachelet Ministerin für Kultur und Medien des Landes. Vor einigen Jahren wurde bei Góngora die Alzheimer-Krankheit diagnostiziert, seitdem kümmert sie sich um ihn. Alzheimer ist nicht nur eine perfide und grausame Krankheit. Góngora kämpfte seit Jahrzehnten gegen das Vergessen der Untaten des Pinochet-Systems. Nun droht ihm seine Biografie zu entgleiten. Die Regisseurin Maite Alberdi vermittelt auch mit dem Material, das Urrutia von ihrem Mann aufgenommen hat, in einer Langzeitstudie die Stationen dieser Krankheit. Sie bringt uns den schwierigen Zusammenhalt eines Paares nahe, und sie zeigt uns, wie wichtig Erinnerungen im Privaten als auch in der Gesellschaft sind.

Für Góngora war Erinnerung alles, es war seine Lebensaufgabe. Sein Motto “Erinnerung ist Identität” bezog er auf die Erinnerung eines Landes. Er wirkte zum Beispiel bei dem Sammelband Chile, die verbotene Erinnerung mit. Nichts, was dieses mörderische Regime verbrochen hatte, sollte verdrängt und vergessen werden. Ein grausamer Scherz, dass er nun kaum noch weiß, wer die Frau ist, die ins Zimmer kommt, der sich vor dem Hochzeitsbild an der Wand fürchtet und nicht mehr weiß, wer er selbst ist. Die Diagnose, 2014 gestellt, hat die Beiden, die über 20 Jahre zusammen waren, sicherlich auch zusammengeschweißt. Bereits damals griff sie zur Kamera und man kann davon ausgehen, dass er damals auch seine Einwilligung gab. Sicherlich berühren einige Momente auch schamhaft, die kurze Lauflänge weist aber darauf hin, dass das Material, das über so lange Zeit entstanden ist, mit Bedacht ausgewählt wurde.

Viele Dokumentarfilme widmen sich Biografien oder behandeln das Schicksal von bekannten Persönlichkeiten. Die unendliche Erinnerung der Regisseurin Maite Alberdi vermittelt uns das Schicksal zweier Persönlichkeiten, die in ihrem Heimatland Chile sehr, bei uns vielleicht eher nicht so bekannt sind. Gleichzeitig behandelt es auch das Schicksal eines ganzen Landes und darüber hinaus berichtet es von den Tücken einer Krankheit. Es ist sicherlich nicht einfach, diese schweren Themen so zu verknüpfen, dass Würde, Liebe und auch die Erinnerung, auf die der Titel anspielt, zugänglich, wenn nicht gar mit Leichtigkeit verknüpft werden.

Alberdis letzter Film war eine deutsche Co-Produktion: Der Maulwurf – Ein Detektiv im Altersheim sollte eine Mischung aus Dokumentar- und Spionagefilm sein. Ein verdeckter Ermittler sollte von der Einsamkeit in einem chilenischen Altersheim berichten. Alberdis aktueller Film debütierte in Sundance am Anfang des Jahres 2023 und gewann in seiner Kategorie den Hauptpreis. Darauf folgte die Festivalvorstellung auf der Berlinale in der Sektion Panorama, später lief der Film unter anderem auf dem DOK.Fest München.

Es ist natürlich schwierig. Die Aufnahmen, die Paulina Urrutia von ihrem Mann macht und mit der sie gemeinsame Momente, sozusagen für die Erinnerung, einfängt, sind derart intim, dass man sich als Publikum stark berührt fühlt und vielleicht den Einblick als zu persönlich deutet. Überwiegt hier der Wille des Dokumentierens der Regisseurin oder der des Paares, das auch auf Grund der Pandemie, sich am Ende nur in seiner Zweisamkeit darstellen kann? Überwiegt das Festhalten des Gedächtnisses eines Einzelnen, das mehr und mehr verfällt, die Dringlichkeit, ein nationales Gedächtnis zu bewahren? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Der Film existiert und seine Hauptfigur, Augusto Góngora, ist im Mai diesen Jahres verstorben. Vielleicht ist Die unendliche Erinnerung auch einfach nur ein Film über die Liebe.

Eneh

Dokumentarfilm Originaltitel: La memoria infinita Regie & Konzept: Maite Alberdi Kamera: Pablo Valdés Montage: Carolina Siraqyan Musik: Miguel Miranda, José Miguel Tobar Mitwirkende: Paulina Urrutia, Augusto Góngora Chile 2023 85 Minuten Kinostart: 28. Dezember 2023 Verleih: Piffl Medien TMDB

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#Filmjahr2023 #Filmkritik #Dokumentarfilm #PifflMedien #Sundance2023 #Berlinale2023 #DokFestMünchen2023

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Venedig ist die Stadt der Lagunen. Venedig ist damit auch der Sehnsuchtsort eines stetig fließenden Stroms von Touristen. Kreuzfahrtschiffe spucken immer mehr von ihnen aus. Zahlreiche Dokumentarfilme widmen sich sowohl der Geschichte als auch der Bedrohung durch ihren Ruhm und ihrem Ruf.

Der Venezianer Giovanni Pellegrini betrachtet seine Stadt, in der er, so sagt er, in einem Boot geboren wurde, sowohl aus der Distanz als auch aus seinem Inneren heraus. Bevor Pellegrini die Stadt aus der Perspektive eines Dokumentarfilmers betrachtete, führte er Touristen in die abgelegensten Winkel. Auch hier ist sein Blick der eines Einheimischen, der jeden Kanal kennt. Aus der Vogelperspektive zeigt uns Pellegrini zuerst nur die Leere, die Weite und das Wasser. Eine kleine Insel, eine Sandbank, eine Kate. Erst dann wechselt er die Perspektive ins Jetzt, in der Venedig aus der Höhe sich wie eine Patchworkdecke präsentiert. Das Wasser ist fast das Hauptelement von Lagunaria und dann es geht hinein in die Kanäle und damit gelangen die Probleme der Stadt und ihrer Bewohner immer mehr in den Fokus.

Bereits 2020 hatte Pellegrini Venedig zum Thema genommen. In Citta' delle sirene berichtete Pellegrini aus erster Hand, wie eine Flut an Wasser die Stadt traf und zum Katastrophengebiet machte. Im November 2019 kämpften die Bewohner gegen das Hochwasser und in einem nachdenklichen Essay behandelte der Regisseur die Auswirkungen des Klimawandels auf die, die die Auswirkungen zuerst erleben werden.

Lagunaria ist quasi eine Fortsetzung. Noch dazu versiegte der Touristenandrang, als die Covid 19-Pandemie alles in einen Lockdown versetzte. Bilder der Leere stehen im Kontrast mit Bilder von eng beisammen stehenden Touristen auf den bekannten Stadtmarken.

Venedig ist in Lagunaria nur noch eine Erinnerung. Vielleicht gab es diese Stadt nie. Die Off-Stimme von Irene Petris erzählt aus der Zukunft von einer Stadt, die einmal war. Von einer “unsichtbaren Stadt”, so wie der von den Italienern so sehr verehrte Italo Calvino, sie behandelte. Mit den Booten und den Gondeln gleiten wir hinein in den Stadtraum und durch die engen Wasserwege. Die Kamera nimmt diesen Rhythmus auf. Ein Ruderschlag, noch ein Ruderschlag. Ein Gondoliere erklärt dem Nachwuchs den Weg des Wassers und wie man ihn sich zunutze macht. Restaurateure und Handwerker behandeln die Wunden, die das Wasser dem Boden, den Bodenmosaiken und den Wänden zufügt hat. Denn kampflos ergeben sich die Venezianer nicht.

Szenen vom Alltag der Bewohner sind dokumentarisch und doch ist Lagunaria mehr ein Essay und eine mahnende Betrachtung. Es steht zu befürchten, dass Venedig eines Tages wirklich vom Wasser verschlungen wird. Es ist ein Schicksal, das auch andere Städte, Küstenregionen, Inseln bedroht. Pellegrini erinnert an das, was gewesen sein wird, an die Würde und die Schönheit. Seine Mahnung an uns setzt er poetisch um. Wir sollten ihn trotzdem ernst nehmen.

Eneh

Dokumentarfilm Originaltitel: Lagunaria Regie & Konzept: Giovanni Pellegrini Kamera: Giovanni Pellegrini Montage: Chiara Andrich Musik: Filippo Perocco Mitwirkende: Romano Zen, Nicola Ebner, Daniele Serio, Giorgio Molin, Guido Jaccarino, Ada Stevelich, Emiliano Simon, Maria Fiano, Francesco Penzo, Christian Badetti, Andrea Berton, Luca Manprin, Uma de Polo, Davide de Polo, Chiara Pluchinotta, Marco Bassi, Melissa Mc Gill, Federico Mantovan, David Angeli, Enea Cabra, Nicoletta Passetti, Lorenzo Tassoni Erzählstimme: Irene Petris Italien 2021 86 Minuten Kinostart: 21. Dezember 2023 Verleih: Real Fiction TMDB

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#Filmjahr2023 #Filmkritik #Dokumentarfilm #RealFiction

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Sebastian Horn wurde Ende der 90er auf einem Schlag als Sänger der Bananafishbones bekannt. Gerd Baumann kennt man als Filmmusikkomponist. Für die Musik zu Wer früher stirbt ist länger tot bekam er damals den deutschen Filmpreis. Dessen Regisseur ist Marcus H. Rosenmüller. Hier wird er Rosi genannt. Horn und Baumann gründeten 2012 Dreiviertelblut, ein Duo. Inzwischen ist man ein Septett, aber es sind die beiden, die sich zum Beispiel in einer verlassenen Holzhütte im Winterwald treffen.

Während Rosi und Horn schon über die Zeit und das Vergehen philosophieren, landet Baumann mit dem Raumschiff und stapft im Weltraumanzug herein. Das ist natürlich inszeniert, spiegelt aber trefflich eine Philosophie und einen Schalk, den die Musik von Dreiviertelblut ausmacht. Die Kamera führt dabei Johannes Kaltenhauser, ein Kommilitone von Rosenmüller und sein Kofelgschroa. Frei. Sein. Wollen ist auch so ein Geheimtip unter den Musikdokumentationen. Dreiviertelblut singen in der bayrischen Mundart, Untertitel braucht es aber nicht, wirklich nicht.

Zwei Konzerte sind das Herzstück des Filmes, eines im Zirkus Krone, das andere im Prinzregententheater in München. Das Komponieren, die Themenfindung, die Proben, von allem gibt es etwas und noch viel mehr, aber nichts davon ist auch nur eine Nuance zu viel. Die Musik transportiert ein Lebensgefühl und die in Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder vermitteln genau das, irgendwo in den Wäldern, irgendwo auf der Autobahn, irgendwo auf einer Bühne. Das alles verdichtet sich zu einem Moment. So ist das Leben.

Eneh

Dokumentarfilm Originaltitel: Dreiviertelblut – Weltraumtouristen Regie: Marcus H. Rosenmüller, Johannes Kaltenhauser Drehbuch: Marcus H. Rosenmüller, Johannes Kaltenhauser Kamera: Johannes Kaltenhauser Schnitt: Peter König Musik: Dreiviertelblut Deutschland 2020 86 Minuten Verleih: 24 Bilder Kinostart: 6. August 2020 TMDB

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#Filmjahr2020 #Filmkritik #Dokumentarfilm #24Bilder #AusDemArchiv

© Eneh