Cineneh

AchtungBerlin2023

Sieben Jahre, sieben Winter saß die junge Studentin, Reyhaneh Jabbari, im Iran im Gefängnis, bis sie, verurteilt als Mörderin, hingerichtet worden ist. Damals, das waren die Jahre 2007 bis 2014, war das in allen Medien. Reyhaneh Jabbari war gerade mal 19 Jahre alt. Neben ihrem Studium arbeitete sie als Inneneinrichterin. Ein Jobangebot wurde ihr zum Verhängnis. Für einen Auftrag war sie auf einer Wohnungsbegehung, die sich als Falle herausstellte. Der Auftraggeber hatte die Tür verschlossen. Sie wehrte sich und in Notwehr verursachte sie den Tod ihres Vergewaltigers. Man wertete ihre Abwehr als Mord. Darauf stand die Todesstrafe, beziehungsweise die “Blutrache”.

Sieben Winter in Teheran war dieses Jahr auf der 73. Berlinale der Eröffnungsfilm der Sektion Perspektive Deutsches Kino, der schließlich zum Gewinner des Kompass-Perspektive-Preises 2023 gekürt wurde. International debütierte der Dokumentarfilm gerade in Dänemark auf dem CPH:DOX Festival. Neben dem Achtung Berlin Festival wird auch das DOK.fest München den Film im Mai 2023 zeigen. Einen Verleih hat der Film inzwischen.

Die Jury für den Kompass-Perspektive-Preis begründete ihre Entscheidung: “Gebannt verfolgen wir die Geschichte einer jungen Frau, die sich der institutionalisierten männlichen Gewalt widersetzt. Dabei entsteht das einfühlsame Porträt einer Familie, die im Kampf gegen ein Unrechtsregime zerrissen wird.” Die Jury hebt hervor: “Dieser Film tut weh und verstört.”

Reyhaneh Jabbari hätte die Möglichkeit gehabt, ihre Anschuldigung der Vergewaltigung zurückzunehmen. Die Angehörigen des “Opfers”, denn die Familie des Täters gilt hier als die “Familie des Opfers”, hätten ihr “verzeihen” können. Mit einer Lüge wollte Jabbari jedoch nicht leben, sie blieb bei der Wahrheit.

Steffi Niederzoll ist Absolventin der Kunsthochschule für Medien Köln und der Escuela Internacional de Cine y Televisión in Kuba. Bereits ihren mittellangen Film Lea (2008) stellte sie in der Perspektive-Sektion der Berlinale vor. Ihr erster langer Dokumentarfilm zeichnet sich durch ihre Zurückhaltung aus. Im Mittelpunkt stehen die Geschichte von Reyhaneh Jabbari und die Bemühungen ihrer Familie, ihre Freilassung zu bewirken.

Steffi Niederzoll arbeitete eng mit der Familie zusammen. Mutter und Schwester von Reyhaneh Jabbari leben inzwischen in Deutschland. Der Vater ist, in Ermangelung einer Ausreisegenehmigung, in Teheran zurückgeblieben. Die Gespräche mit der Familie wurden darum teils von einem anonymen Stab gedreht. Die Familie stellte Steffi Niederzoll geheime Aufnahmen der Familie aus dem Gefängnis, Telefongespräche und Briefe zur Verfügung. Auszüge aus den Briefen werden von der Exiliranerin und Schauspielerin Zar Amir-Ebrahimi (wir kennen sie aus Holy Spider) aus dem Off vorgelesen.

Anhand des Materials werden wir Zeuge eines aussichtslosen Kampfes gegen Traditionen, den iranischen Institutionen und einer Gesellschaft, in der das Patriarchat diktiert. Die Regierung ist an der Wahrheit nicht interessiert. Denn Reyhaneh Jabbaris Vergewaltiger galt als ein religiöser Mann und so konnte er per se kein Vergewaltiger sein. Er war übrigens als Geschäftsmann und darüberhinaus auch als Mann im Geheimdienst zu gut vernetzt.

Sieben Jahre in Teheran zeigt aber nicht nur die aussichtslosen Verhandlungen, sondern zeigt den Lebensweg einer jungen Frau, die durch die Umstände wächst. So erfahren wir, dass sie sich mehr und mehr um die Belange ihrer Mithäftlingen kümmerte. Gleichzeitig lernen wir ihre Familie kennen, die ebenso an der Situation wachsen muss. Sie lernen alle Kanäle zu nutzen, bemühen sich um Aussöhnung und müssen doch auch mit der Entscheidung der Tochter, bei der Wahrheit zu bleiben, Frieden schließen.

Sieben Jahre in Teheran stellt sein Thema der Form voran. Gerade dadurch gibt der Dokumentarfilm Reyhaneh Jabbari und denen, die vom iranischen Regime unterdrückt und vernichtet worden sind, eine Stimme weit über den Tod hinaus.

Eneh

Dokumentarfilm Originaltitel: Seven Winters in Tehran Regie & Konzept: Steffi Niederzoll Kamera: Julia Daschner Montage: Nicole Kortlüke Musik: Flemming Nordkrog Mit Reyhaneh Jabbari, Shole Pakravan, Fereydoon Jabbari, Shahrzad Jabbari, Sharare Jabbari, Parvaneh Hajilou, Mohammad Mostafaei, Samira Mokarrami Deutschland / Frankreich 2023 98 Minuten Kinostart: 14. September 2023 Verleih: Little Dream Pictures Festivals: Berlinale 2023 / Achtung Berlin 2023 / Dok.Fest München 2023 TMDB

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