Cineneh

MindjazzPictures

Inger (Sofie Gråbøl) ist besonders. Inger leidet an Schizophrenie. Ihre Schwester Ellen (Lene Maria Christensen) holt sie aus der Heimbetreuung ab, um sie auf eine Reise nach Paris mitzunehmen. Paris ist hier nicht nur ein Urlaubsziel, nicht nur ein Sehnsuchtsort, sondern ein Ankerpunkt in Ingers' Vergangenheit.

Schizophrenie ist eine Krankheit, die mit viel Stigma und Unwissenheit belastet ist. Der Bruch in der Wahrnehmung, die Reaktionen der Erkrankten, äußern sich auch ganz unterschiedlich. Der dänische Regisseur Niels Arden Oplev, der vor einigen Jahren auf der Berlinale seinen Film “Worlds Apart” vorgestellt hatte, der in dem Jahr auch Dänemarks Einreichung zu den Oscars wurde, und der mit der Stieg Larsson-Verfilmung “Verblendnung” auch einem größeren Publikum bekannt wurde, wählte eine kleine, autobiographische Geschichte.

Die Figuren von Inger und Ellen sind seinen beiden Schwestern nachempfunden, die einst, vor Handy-Zeiten, genauso eine Reise unternommen haben. Es geht um den Zusammenhalt einer Familie, in der die Krankheit einer Person alles auf den Prüfstand stellt. Es geht aber auch um uns als Gesellschaft, die wir Krankheiten stigmatisieren und so weit von uns weisen, dass wir nicht damit umzugehen lernen.

Die Reise nach Paris ist keine Reise im bequemen Auto. Ellen hat, sehr zum Unwillen der getagten Mutter, die sich viel zu sehr in die Betreuung, trotz Heimunterbringung, einbringt und aufreibt, für eine pauschale Busreise entschieden. Ein Mikrokosmos an Mitreisenden, die so unvermittelt und ungefragt sich nun ebenfalls mit jemandem auseinandersetzen müssen, die nicht der Norm entspricht. Inger macht aus ihrer Krankheit keinen Hehl. Dabei handelt es sich allerdings um eine milde Form der Schizophrenie, sonst würde sich die Geschichte sicherlich so nicht erzählen lassen. Es geht also nicht nur um Ingers Krankheit, sondern auch um die Reaktionen ihrer Mitmenschen, die sehr unterschiedlich ausfallen.

Da ist zum Beispiel der Lehrer Andreas (Søren Malling) und seine sehr stille Ehefrau Margit (Christiane G. Koch). Offensichtlich lehnt der Pedant, wie er im Buche steht, jede Normabweichung ab und will vorgeblich seinen Sohn Christian (Luca Reichardt Ben Coker), gerade mal 12 Jahre alt, vor schlechten Einflüssen schützen. Andreas' Ablehnung fällt so stark aus, dass man erst meint, er sollte doch mal locker machen, aber auch seine Reaktion deckt eine Facette einer Persönlichkeitsabweichung ab. Niels Arden Oplev nimmt die Figuren bis in die Nebenrollen ernst, stellt niemanden bloß und schafft es, Mitgefühl zu wecken. Sein Drehbuch kommt geradezu als eine Komödie daher, ohne sich je über etwas lustig zu machen.

Christian ist hier eine Schlüsselfigur. So jung, so ohne Berührungsängste, sozusagen ein Ideal, geht er an das Unbekannte heran und freundet sich mit Inger an. Er will verstehen und führt mit seiner Neugierde auch das Publikum an die Problematik heran. Dabei verschweigt Niels Arden Oplev die Schwierigkeiten nicht. Er zeigt, wie Ellen teilweise an den Rand ihrer Kräfte gerät, vor der sie auch ihr beschützender Mann Vagn (Anders W. Berthelsen) nicht immer bewahren kann. Auch seine stille Unterstützung löst mitunter Frustrationen bei ihm aus. Niels Arden Oplev wägt die selbst gewählten und die unfreiwillig auferlegten Aufgaben sorgsam ab und vermittelt diese mit einer Leichtigkeit, die diesen Film, deren Titel sich irgendwann erklären wird, zu einer kleinen Perle machen.

Eneh

Originaltitel: Rose Regie: Niels Arden Oplev Mit: Sofie Gråbøl, Lene Maria Christensen, Anders W. Berthelsen, Søren Malling, Luca Reichardt Ben Coker, Peter Gantzler, Christiane Gjellerup Koch, Karen-Lise Mynster, Illyès Salah, Jean-Pierre Lorit, Yale Arden Oplev, Kathrine Jacobsen, Tine Roland Grauengaard Dänemark 2021 101 Minuten Verleih: Mindjazz Pictures Kinostart: 28. September 2023

zuerst veröffentlicht: der Link führt zum BAF-Blog

#Filmjahr2023 #Filmkritik #Spielfilm #MindjazzPictures

© Eneh