Cineneh

FilmKinoText

Ruhrgebiet. Bergbau-Gebiet. Der Kohleabbau prägte die Region und die, die hier lebten und arbeiteten. Über 40 Jahre lang haben die Filmemacher Christoph Hübner und Gabriele Voss sozusagen Land und Leute begleitet.

Immer schon war das Thema Strukturwandel im Vordergrund. Die damals jungen Chronisten zogen 1979 in eine Zechensiedlung, um mit der Kamera nicht immer wieder disruptiv zu kommen und zu gehen, sondern um inklusiv immer nahe dran zu sein. Ein paar Jahre blieben sie vor Ort. In den 90ern kehrten sie zurück. Dabei waren ihnen auch immer Einzelschicksale wichtig. Geschichte, Zeitgeschichte, Lokalgeschichte, diese fügt sich eben aus vielen Geschichten zusammen.

Aus diesem Fundus bedient sich auch Vom Ende eines Zeitalters. Der Dokumentarfilm, der gerade im Kinoformat funktioniert, weil er das Publikum mit in das Geschehene und den Wandel hineinzieht. Dabei werden vielleicht nicht alle Ereignisse in diesen Jahren abgehandelt. Doch ein Gefühl für Zeit und Wandel überträgt sich auf die Zuschauenden. Vom Ende eines Zeitalters verbindet als Film Fragmente und Episoden. Oft gibt es ein Gefühl der Wehmut, aber dieser bleibt nicht ohne einen Blick in die Zukunft. Abschiedsschmerz und Hoffnung liegen in der Dramaturgie nahe beieinander.

Das Regie-Duo konzentriert sich auf Ebel. Ein Stadtteil von Bottrop. Einst als das “Tal der fliegenden Messer” verschrien. Auch im Ruhrgebiet gab es bessere und weniger geschätzte Wohnorte. Der Ort wurde im nördlichen Ruhrgebiet sozusagen auf grüner Wiese errichtet und wurde schnell von der Industrie umschlossen. Das Ruhrgebiet funktioniert durch den Zusammenhalt ihrer Bewohner. Tradition und Vereine hatten eine Funktion. Mit dem Wegfall der alten Arbeit müssen sich auch die Menschen neu orientieren. Mit der Modernisierung und Renaturierung wird der Ort aber auch attraktiver. Es ziehen Familien zu. Menschen, die mit der Geschichte des Ortes nichts verbindet. Der Zusammenhalt muss neu austariert werden. Auch das ist ein Prozess. Sicherlich.

Der Bergbau ist Geschichte. Die letzte Zeche, Prosper-Haniel in Bottrop, wurde 2018 geschlossen. Seit 1863 wurde hier Steinkohle gefördert. Einst arbeiteten etwas über 300 Leute vor Ort. Zum Schluss waren es 2600. Die Geschichte des Ruhrgebiets war auch immer eine Geschichte der Migration. Was die Menschen verband, war die Arbeit.

Mit der Kamera geht es noch einmal hinunter in einen Schacht. Es begann ein Rückbau. Eine Arbeit, die wichtig und schwierig ist, aber auch notwendig. Wir betrachten die Maschinen, die nach und nach auseinandergenommen werden. Bei diesem Ende gleich am Anfang endet die Chronik jedoch nicht. Es entsteht etwas Neues, weil etwas Neues entstehen muss. Und somit ist Vom Ende eines Zeitalters auch die Chronik eines Beginns und erzählt von einer neuen Nutzung. Räume werden zu Museen, Landschaften zu Parks. Das konstant abgepumpte Wasser lässt Seen entstehen. Gerne dürfen jetzt auch Touristen kommen.

Einer, der uns durch den Film begleitet, tut dies auch beruflich. Thomas Schwarzer arbeitet für die Stadt und ist quasi ein Touristenführer für das Postindustrielle. Damals, als die Kameras kamen, war er noch ein Kind. Damals reagierte er neugierig auf das Team, das alles filmte. Seit den 70ern bis in die 90er hinein entstand ein Zyklus an Dokumentationen. Erst vor wenigen Jahren wurde dieser ins Nationale Filmerbe der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen und in Folge mit der Unterstützung der Filmförderungsanstalt (FFA) auch digitalisiert. Für Interessierte: der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat die sieben Stunden Filmzeit unter dem Titel Prosper/Ebel. Chronik einer Zeche und ihrer Siedlung (1979 – 1998) hier auf sieben DVD's für 29,90 € zugänglich gemacht.

Christoph Hübner und Gabriele Voss zogen damals in eine Bergbauwohnung. Sie stimmten sich mit den Bewohnern ab. Hinterfragten dadurch auch immer wieder ihren dokumentarischen Ansatz. Auch dieses Suchen und sich Hinterfragen prägt jetzt diesen vielleicht vorläufigen Schlusspunkt.

Wir begegnen einem ehemaligen Bergarbeiter, der seine Kumpels überlebt hat. Betrachten Gräber, deren Liegezeit auch schon wieder abläuft. Es ist auch nicht schlimm, wenn nichts für die Ewigkeit gleichbleibt. Erinnerung sitzt im Herzen derer, die sich für sie interessieren. Wir begegnen aber auch einem Pfarrer, der seine Gemeinde in einen kleineren Raum umsiedeln muss. Weil sich auch die Rolle der Kirche geändert hat. Und auch der Sportplatz soll sich ändern. Heute ist Individualsport angesagt, der alte Fußballverein nicht mehr zeitgemäß. Melancholie und Empathie ist somit immer mit dabei.

Wer mehr von Christoph Hübner und Gabriele Voss sehen möchte, kann das ganz aktuell auf dem Online-Portal der Deutschen Kinemathek tun. Mit wechselndem Programm zeigt das Archiv seine Schätze frei zugänglich. Seit dem 1. Mai (und bis Ende Juli) geht es um “Working Class Heroes”. Zu der aktuellen Auswahl gehört die achtteilige Dokumentation über die Lebens-Geschichte des Bergarbeiters Alphons S..

Eneh

Dokumentarfilm Originaltitel: Vom Ende eines Zeitalters Regie & Konzept: Gabriele Voss, Christoph Hübner Kamera: Christoph Hübner, Sebastian Behler, Jochen Balke Montage: Gabriele Voss Deutschland 2022 155 Minuten Kinostart: 25. April 2024 Verleih: Film Kino Text TMDB

zuerst veröffentlicht: der Link führt zum BAF-Blog

#Filmjahr2024 #Filmkritik #Dokumentarfilm #FilmKinoText

© Eneh